Denis und Kristin-Marlen Hahn müssen ihre Hof-gemeinschaft verlassen, weil ihnen nach acht Jahren die Pacht nicht verlängert wird. Sie haben Glück im Unglück: Nur zwei Kilometer von ihrer alten Wirkungsstätte entfernt finden sie eine neue Hofstelle. Das dazugehörige Wohnhaus steht seit 20 Jahren leer und ist baufällig. Allein einen funktionierenden Betrieb aufzubauen, ist unmöglich. Doch mithilfe vieler Menschen und eines starken Netzwerks wagt das Paar samt seiner drei Kinder das Abenteuer.
„Als unsere Pacht nicht verlängert wurde, hat uns das den Boden unter den Füßen weggezogen“, erzählt Denis Hahn, 43. Die Demeter-Hofgemeinschaft „Hottenlocher Hof“ war für die junge Familie nicht nur Arbeitsstätte, sondern auch ein Zuhause. Ein Bilderbuch-Bauernhof in der Bodenseeregion in der Nähe von Stockach, eingebettet zwischen sanften Hügeln, Streuobstwiesen und Feldern. Die drei Kinder Emil (11), Frieda (8) und Mia (6) sind hier aufgewachsen.
Einen neuen Boden unter den Füßen hat die junge Familie nun ganz in der Nähe, auf dem Hof Berenberg, gefunden. Doch das Wohngebäude aus dem Jahr 1906 ist stark sanierungsbedürftig. In der zukünftigen Küche müssen die Hahns vorerst noch über Streben balancieren, bis die Dielen verlegt sind. Wo man auch hinschaut: eine einzige Baustelle! Kristin-Marlen, die alle Aus- und Umbauarbeiten koordiniert und viele davon auch selbst ausführt, fragt sich in manchen Momenten, wie die Familie es schaffen soll, hier bis Ende des Jahres einzuziehen. Denn bis dahin müssen sie aus ihrem alten Zuhause ausgezogen sein. Und doch freut sie sich inzwischen auf die Zukunft an diesem neuen Ort, der sich für sie schon wie ein Zuhause anfühlt. „Es muss nicht gleich alles perfekt sein. Hauptsache, wir haben die wichtigsten Räume vor dem Winter fertig und die Kinder fühlen sich dann hier wohl“, findet die 37-Jährige. Das Wohl der Kinder war für das Paar der wichtigste Grund für den Neubeginn ganz in der Nähe. „Denn die Kinder sollen nicht aus ihrer Heimat, von ihren Freundinnen und Freunden, dem Kindergarten und der Schule weg müssen, nur weil unser Pachtvertrag nicht verlängert wurde.“
Mut und Kraft – beides brauchen Kristin-Marlen und Denis, um diese Herkulesaufgabe anzupacken. Keine:r von beiden stammt aus einer Bauernfamilie, doch haben sie sich ganz bewusst auch nach der Pacht-Aufkündigung wieder für ihren Traumberuf entschieden. „Mit Tieren und mit der Natur zu arbeiten und gute Lebensmittel herzustellen, das bedeutet harte Arbeit und wenig Freizeit. Es bietet uns aber sinnhaftes, schöpferisches Arbeiten, Erfüllung und auch Freiheit und Abwechslung. Dass Emil, Frieda und Mia damit groß werden dürfen, ist uns wichtig“, sagt Kristin-Marlen. Um in die Landwirtschaft einzusteigen und sich eine Hofstelle aufzubauen, braucht es jedoch viel Geld. Die Investitionen in Land, Stallungen, Geräte und Maschinen sind immens. „Es ist fast unmöglich, sich einen Hof aufzubauen, wenn man nicht gerade einen erbt“, erklärt Denis. Die Pacht wird immer höher, weil seit der Finanzkrise immer mehr Investor:innen mit Land spekulieren. „Allein um die Gebäude und die nötigsten Investitionen sowie Kaufnebenkosten ohne das Land zu übernehmen, mussten wir eine Finanzierung von einer halben Million Euro stemmen. Doch damit ist es nicht getan – denn wir brauchen ja auch Land, das wir mit einer auskömmlichen Pacht bewirtschaften können. Für die rund zehn Hektar Felder und Wiesen, die zu Hof Berenberg gehören, fallen weitere 550 000 Euro an – undenkbar für uns, diese Summe zusätzlich aufzubringen!“
Dass heute ihre Rinder auf den Wiesen vor dem renovierungsbedürftigen Stall grasen und die Hahns aus dem künftigen Küchenfester über den Mühlinger Ortsteil Berenberg in die fruchtbare, hügelige Kulturlandschaft der Bodenseeregion blicken können, ist der Kulturland-Genossenschaft zu verdanken. Die hat es sich zur Aufgabe gemacht, Wirtschaftsflächen zu sichern und sie jenen zur Verfügung zu stellen, die sie gemeinwohlförderlich ökologisch beackern. So hat sie auch das Land rund um den Hof Berenberg für nachhaltigen Ökolandbau gesichert, das bisher konventionell bewirtschaftet wurde. „Im Grunde sind es Bürgerinnen und Bürger, aber auch unterstützende Unternehmen, die es durch den Kauf von Genossenschaftsanteilen ermöglichen, dass wir unbefristet dieses Land zu einer bezahlbaren Pacht bewirtschaften können“, erklärt Denis. Die Wertschätzung all jener, die in der Genossenschaft ihr Ideal der Landwirtschaft nicht nur durch den Kauf von Erzeugnissen unterstützen, rührt Denis und Kristin-Marlen. Das gibt Energie für den Neuanfang und ist Ansporn zugleich. „Wir wollen dem Land, dem Boden, der uns anvertraut ist, mehr zurückgeben, als wir ihm entnehmen“, sagt Kristin-Marlen.
Denis und Kristin-Marlen haben bereits begonnen, die Flächen auf biologisch-dynamische Landwirtschaft um-zustellen, und arbeiten mit vielen Demeter-Betrieben zusammen. Hof Berenberg ist Teil des Weiderind-Projekts im Netzwerk „WIR. Bio-Power Bodensee“. Die Hahns kaufen männliche Kälber von Demeter-Milchviehbetrieben und ziehen diese auf. Für Denis ein konsequenter Schritt, um eine Lücke bei der Milchproduktion zu schließen: Eine Kuh gibt nur Milch, weil sie auch jedes Jahr ein Kalb gebärt. Die meisten weiblichen Jungtiere werden wieder als Milchkühe eingesetzt. Doch die Bullenkälber werden oft für wenig Geld auf dem Viehmarkt verkauft, weil sich ihre Aufzucht finanziell nicht rechnet. Sie verursachen viel Aufwand und Kosten, setzen aber nur wenig Fleisch an. Sobald die männlichen Kälber verkauft sind und damit die Demeter-Kette verlassen, haben die Bauern es nicht mehr in der Hand, was anschließend mit ihnen geschieht. Anders im WIR-Netzwerk, wo die männlichen Kälber in der Region bleiben, wie Denis beschreibt: „Hier übernehmen wir und andere Aufzuchtbetriebe die Ochsenmast und unterstützen damit die vielen Milchviehbetriebe, die selbst nicht genügend Wiesen, Ställe und Zeit für die Vermarktung haben. Damit können wir den regionalen Kreislauf ein Stück weiter schließen. Beim Weiderind-Projekt werden alle Tiere hier in der Bodenseeregion geboren und aufgezogen, ihr Fleisch und die Milch auch hier vermarktet.“
Wenn das Land und der Boden vielen gehört, kann es uns nicht mehr ein Einziger wegnehmen. Das gibt Sicherheit und gleichzeitig einen großen Ansporn und Verantwortung.
Denis Hahn, Demeter-Landwirt
Die männlichen Kälber in der Region zu halten und nicht auf den Viehmarkt zu bringen, ist das gemeinsame Ziel der Milchvieh- und Weidemastbetriebe von „WIR. Bio-Power Bodensee“. Das ist ein Zusammenschluss von Bio-Höfen, dem Naturkostfachhändler Bodan und inhabergeführten Bioläden. So können männliche wie weibliche Kälbchen beim Muttertier trinken und in ihrer Heimatregion aufwachsen. Die Jungrinder fressen vor allem Gras, kein Getreide und keinen Mais. Futter, Milch, Fleisch und Dung für den Ackerbau sind Teile eines nachhaltigen Kreislaufs. Die Kälber werden auf großzügigen Grasflächen gehalten, die sich nicht für Ackerbau eignen, Lebensraum für Insekten bieten und CO2 binden. Nach rund zwei Jahren mit viel Auslauf im Grünen werden die Weiderinder direkt in der Region geschlachtet und verarbeitet. Steaks, Würstchen und mehr vom guten Bodensee-Weiderind gibt es im Bio-Fachhandel.
Was für den Einzelnen schwierig ist, funktioniert als Gemeinschaft in direkter örtlicher Nähe sehr gut. Das Weiderind-Projekt führt zusammen, was sonst oft getrennt gedacht wird: Milch- und Fleischproduktion gehören in eine Hand. „Die Konsequenz wäre rein rechnerisch, dass pro Liter Demeter-Milch, der getrunken wird, 25 bis 30 Gramm Demeter-Rindfleisch gegessen werden“, erklärt Denis.
Um eine ganzheitlich nachhaltige Landwirtschaft für mehr Artenvielfalt, Bodenfruchtbarkeit und Tierschutz zu betreiben, brauchen wir nicht nur Bäuerinnen und Bauern, die das wollen. Sondern auch die Unterstützung von vielen Menschen, die das wertschätzen und stärken möchten.
Kristin-Marlen Hahn, Demeter-Landwirtin
Rinder gehören für ihn zu einer nachhaltigen Landwirtschaft unbedingt dazu. „Biodynamisch ist für uns die konsequenteste und nachhaltigste Form der Landwirtschaft – und wir haben auch unser komplettes landwirtschaftliches Arbeitsleben auf Demeter-Betrieben verbracht. Unsere heutige Kulturlandschaft würde es ohne Rinder so nicht geben.“ Auf den Weiden um die Hofstelle wachsen Kräuter und blühen verschiedene Pflanzen. Die Hinterlassenschaften der Ochsen sind Oasen der Artenvielfalt und bieten Lebensraum für Mistkäfer, Fliegen, Grashüpfer. Von ihnen wiederum ernähren sich zahlreiche Vögel: Im Stall leben viele Schwalbenfamilien – ein gutes Omen, finden Kristin-Marlen und Denis, die inzwischen voller Hoffnung in die Zukunft blicken.
„Wir fühlen uns getragen – von einem riesigen sozialen Netz an Freundinnen, Kollegen, Helferinnen und Unternehmern, die mit uns solidarisch sind und uns ganz praktisch wie auch ideell unterstützen. Diese lebendige Demeter- und Bodensee-Gemeinschaft und die gute Infrastruktur, die hier bereits etabliert ist, sind die besten Voraussetzungen, die man sich wünschen kann“, sagt Kristin-Marlen. Gerne erinnert sie sich an ein gemeinsames Stecken von Kopfweiden als lebendige Zaunpfähle für die Weide, zusammen mit Demeter-Kolleg:innen in der Abendsonne. Die Stärke, die aus Gemeinschaft entsteht, soll auch in der Zukunft auf Hof Berenberg zu spüren sein. So soll die Hofstelle künftig noch mehr Menschen als der eigenen Familie ein Zuhause und eine Wirkungsstätte bieten. Nach harten und ungewissen Zeiten blickt Denis nun zuversichtlich auf das, was kommt: „Wir sind dankbar, den Boden zu bewirtschaften, den Kulturland gemeinsam mit so vielen Menschen gesichert hat. Das Land gehört jetzt nicht mehr einem Einzigen, sondern vielen. Und deshalb ist sichergestellt: Hier entsteht neues Leben!“
Kristin-Marlen und Denis Hahn bieten nicht nur den männlichen Kälbern von Demeter-Milchviehbetrieben aus der Region ein Zuhause, sondern bauen auch Kleegras und Futtergetreide sowie Getreide für regionale Partner an: Dinkel für Naturata, Buchweizen für Erdmannhauser und Hanf für die Ölfreunde. Zurzeit halten Denis und Kristin-Marlen 20 eigene Rinder sowie 15 Pensionsrinder auf ihren Weiden.
Du kannst Hof Berenberg als Kulturland-Genossin und -Genosse unterstützen.
Du kannst über Kulturland auch eine anderen nachhaltig wirtschaftenden Bio- oder Demeterhof unterstützen: Die Kulturland eG organisiert Gemeinschaftseigentum an Grund und Boden für die bäuerlich geführte ökologische Landwirtschaft. Sie erwirbt Ackerland, Wiesen, Weiden, Hecken und Biotope und stellt diese Bauernhöfen zur Verfügung, die Bio-Lebensmittel vor Ort vermarkten, Führungen anbieten, Naturschutz und Landschaftspflege betreiben, soziale Betreuung leisten oder erlebnispädagogisch mit Schulklassen arbeiten.
Wer Kulturland-Genossin oder -Genosse werden möchte, zeichnet Genossenschaftsanteile und kann sich bei Wunsch auch auf den Höfen engagieren!