An verschiedenen Orten der Welt leben Menschen, die bereits heute durch die Klimakrise ihre Lebensgrundlage und ihre Heimat verlieren. Und es werden künftig immer mehr. Dr. Kira Vinke, Expertin für Klima- und Außenpolitik, rückt diese menschliche Dimension ins Zentrum der Diskussion um den Klimawandel. Sie fordert: Wir müssen Verantwortung übernehmen – für bereits entstandene Schäden, aber auch dafür, die ganz große Katastrophe zu verhindern und unseren Planeten wieder in Balance zu bringen.
Kira Vinke: Seit etwa zehn Jahren beschäftige ich mich mit den menschlichen Dimensionen der Klimakrise. 2013 wohnte ich für einen längeren Forschungsaufenthalt in Neu-Delhi, Indien. Dort waren bereits die Auswirkungen des Klimawandels spürbar. Extremereignisse machten Lebensgrundlagen zunichte und zwangen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Viele migrierten von ländlichen Gebieten in große Städte. Mit dieser Dynamik wollte ich mich intensiver beschäftigen und habe in den darauffolgenden Jahren an verschiedenen Orten der Welt zum Thema Klimawandel, Migration und Sicherheit geforscht. Dabei ist mir klar geworden: Die Klimakrise ist eine Menschheitsaufgabe, die nur durch internationale Zusammenarbeit und nationale Verantwortungsübernahme bewältigt werden kann.
Kira Vinke: Wir erforschen die außen- und sicherheitspolitischen Implikationen der Klimakrise und beraten Entscheidungsträger:innen. Das kann die konkreten Auswirkungen des Klimawandels in bestimmten Ländern und Gebieten umfassen – etwa in der Demokratischen Republik Kongo, der Sahelzone oder in der Antarktis. Ebenso betrachten wir auch die geoökonomischen Implikationen der Umsetzung des europäischen Green Deals oder beschäftigen uns mit den Möglichkeiten der Energiewende in konfliktbetroffenen Ländern. Dann stellen wir die Frage: Was bedeuten diese Erkenntnisse für die deutsche Außenpolitik? Welche Handlungsempfehlungen können wir Entscheidungsträger:innen geben?
„Die Klimakrise ist ein globales Problem, das globale Antworten erfordert. Eines ist klar: Wir sind in einer sehr bedrohlichen Lage und müssen jetzt und heute entschieden handeln.“
Dr. Kira Vinke, Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
Kira Vinke: Generell nehmen Extremereignisse an Intensität bzw. Häufigkeit zu: Hitzewellen, Dürren, Stürme. Diese Extreme treten auch immer öfter in verschiedenen Ländern parallel auf. Schauen wir zurück auf den Sommer 2023. Da kam es zu Dürren, die zu brennenden Waldgebieten und eklatantem Wassermangel geführt haben – und in anderen Teilen der Erde traten starke Überschwemmungen auf. Oft bleibt es nicht bei den rein ökonomischen Schäden, Menschen verlieren ihr Leben oder werden vertrieben. Diese Einschnitte betreffen Kommunen über Jahre hinweg. Kommt es durch die Klimakrise zu einer Ressourcenverknappung, dann können sich Interessenkonflikte um Frischwasser oder fruchtbare Agrarflächen entwickeln. Solche Existenznöte können – vor allem in politisch instabilen Regionen – auch in gewaltsame Konflikte umschlagen. Eine weitere Dimension sind die immateriellen Verluste durch solche Katastrophen. Wenn Menschen aus stark betroffenen Gebieten fortziehen müssen, weil sie alles verloren haben, dann bedeutet das für sie letztlich auch den Verlust ihrer Heimat.
Kira Vinke: Genau. Nehmen wir beispielsweise die Alpen: Was bedeutet es eigentlich, wenn dort immer weniger Schnee liegt? So könnte der Alpenraum an Einkommen als Tourismusregion einbüßen. Dies ließe sich noch beziffern. Aber gleichzeitig verlieren wir auch einen einzigartigen Kultur- und Naturraum – hier entstehen auch immaterielle Verluste. Wenn landwirtschaftliche Lebensgrundlagen verschwinden, bedeutet das nie einen nur wirtschaftlichen Schaden, es kann in letzter Konsequenz auch zu einem Identitätsverlust führen. In vielen Regionen der Welt sind Gesellschaften von der traditionellen Landwirtschaft geprägt. Bricht diese ersatzlos weg, verlieren Betroffene ihren sozialen Status und auch kulturelle Traditionen. Dieser Identitätsverlust kann schlimmstenfalls von populistischen und autokratischen Akteuren ausgenutzt werden.
Kira Vinke: Die Migration im Zusammenhang mit dem Klimawandel findet gegenwärtig vorwiegend innerhalb von Ländern statt. Das liegt auch daran, dass viele Menschen nicht über größere Distanzen hinweg migrieren wollen, weil sie Hoffnung haben, irgendwann in ihren Heimatort zurückzukehren. Wieder andere haben nicht die Möglichkeit, weite Strecken zurückzulegen. Wenn landwirtschaftliche Lebensgrundlagen durch Klimafolgen schwinden, verstärkt sich die Land-Stadt-Migration. Falls zukünftig größere Gebiete komplett unbewohnbar werden, könnte es vermehrt auch zu transnationaler Migration kommen. Diese grenzüberschreitende Migration ist reglementiert durch verschiedene Grenzregime. Menschen, die aufgrund von Klimafolgen migrieren, haben keinen gesonderten Schutzanspruch, sie fallen nicht unter die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention.
Kira Vinke: Zuallererst: bei uns in Deutschland die Emissionen senken! Denn in einer Welt, die drei oder vier Grad wärmer ist, helfen auch die besten lokalen Anpassungsmöglichkeiten nicht mehr. Fakt ist: Deutschland verursacht die höchsten CO2-Emissionen in Europa. Diese und weitere Treibhausgasemissionen entziehen anderswo auf der Welt Lebensgrundlagen. Zweitens: Verantwortung übernehmen! Wir müssen anerkennen, dass Deutschland durch seine vergangenen Emissionen bereits großen Schaden angerichtet hat; CO2 bleibt sehr lange in der Atmosphäre. Wir sollten noch stärker die internationale Klimafinanzierung unterstützen und andere Industriestaaten drängen, mitzuziehen. Diese Gelder helfen ärmeren Staaten, sich an Klimafolgen anzupassen und vor Ort Emissionen einzudämmen. Zum Beispiel durch die Elektrifizierung im ländlichen Raum mit erneuerbaren Energien. Wir sollten uns ebenfalls daran beteiligen, Verluste und Schäden finanziell zu begleichen, wie es gerade auf internationaler Ebene verhandelt wird. Und zuletzt: Wenn Gebiete unbewohnbar werden, müssen Menschen in Würde fortmigrieren können. Hier könnten zum Beispiel Trainings und Ausbildungen helfen, um den betroffenen Menschen auch außerhalb der Landwirtschaft einen Beruf zu ermöglichen.
„Wenn Menschen aus stark von Klimawandelfolgen betroffenen Gebieten fortziehen müssen, weil sie alles verloren haben, dann bedeutet das für sie letztlich auch den Verlust ihrer Heimat.“
Dr. Kira Vinke, Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
Die 35-Jährige ist Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Wissenschaftlerin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Co-Vorsitzende des Beirats der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention und Friedensförderung“. In ihrer Forschung befasst sie sich mit den menschlichen Dimensionen des Klimawandels, mit den Auswirkungen auf Migrationsbewegungen und menschliche Sicherheit.
Kira Vinke: Wir haben bereits Schäden verursacht, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Schauen wir ins eigene Land: Die Intensität der Ahrtal-Flut stand im Zusammenhang mit der globalen Mitteltemperatur-Erwärmung. Häuser wurden von den Fluten weggerissen, Menschen sind ums Leben gekommen. Viele der heutigen Katastrophen und Klimaschäden sind auf das Nichthandeln der letzten 30 Jahre zurückzuführen. Es ist ein globales Problem, das globale Antworten erfordert. Wir können die Mitteltemperatur noch auf ein Maß begrenzen, das ein gutes Zusammenleben auf dem Planeten Erde ermöglicht, und die ganz große Katastrophe noch abwenden. Eines ist klar: Wir sind in einer sehr bedrohlichen Lage und müssen jetzt und heute entschieden handeln.
Kira Vinke: Die Verantwortung liegt in erster Linie bei denen, die besonders viel Macht und Entscheidungsfreiraum haben, also bei der Politik. Doch natürlich können wir auch als Konsument:innen einen gewissen Einfluss nehmen. So haben wir in einer Demokratie die Macht, politische Entscheidungsträger:innen zu wählen, von denen wir glauben, dass sie diese Probleme am besten angehen werden. Wir können uns am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen und uns beispielsweise in Klimagruppen engagieren. Es geht nicht um eine in jederlei Hinsicht tadellose Lebensführung in klimatischer Hinsicht. Sondern es geht darum, anzufangen, sich stärker mit den Folgen unseres Handelns auseinanderzusetzen.
Für mich ist entscheidend, dass die Beschäftigung mit dem Klima uns auch etwas eröffnet. Nämlich eine große Empathie mit Mitmenschen, die heute schon stark unter Klimafolgen leiden. Sei es für ältere Menschen bei uns in Deutschland, die unter der Sommerhitze leiden, oder für Menschen weit entfernt, die in Bangladesch in den Fluten ums Überleben kämpfen. Und gerade diese Empathie wiederum kann uns dann auch den Antrieb dafür geben, selbst etwas zu verändern.
In ihrem Buch „Sturmnomaden“ gibt Kira Vinke den von der Klimakrise in ihren Lebensgrundlagen bedrohten Menschen ein Gesicht und eine Stimme. Sie macht deutlich, welche Veränderungen schon heute unumkehrbar sind – und welche Möglichkeiten wir noch haben, dem Klimawandel zu begegnen und den Betroffenen ein Bleiben oder eine Abwanderung in Sicherheit und Würde zu ermöglichen.
Kira Vinke: „Sturmnomaden“, dtv, 2022.
ISBN: 978-3-423-29039-5, 320 Seiten.
www.dtv.de/buch/sturmnomaden