Milena Glimbovski und Johannes Kamps-Bender im Gespräch

Nachhaltig glücklich

Unverpackt-Pionierin und Zero-Waste-Aktivistin Milena Glimbovski traf in ihrem Laden „Original Unverpackt“ Demeter-Vorstand Johannes Kamps-Bender. Ein Gespräch über Wege aus der Verpackungsflut und Glücksgefühle durch Minimalismus.

Moderation: Susanne Kiebler

Milena, du bist prominente ­Ver­treterin der Unverpackt-Bewegung und dein Laden war der erste in Deutschland, der dem Zero-Waste-Ansatz folgt. Was heißt das genau?

Milena Glimbovski: Mir war das Konzept des Zero Waste wichtig, denn es beruht auf den sechs Grundsteinen „Refuse, reduce, reuse, repair, recycle, rot“ – also vermeiden, reduzieren, wiederverwerten, reparieren, recyceln, kompostieren. Ich mag diese ­Philosophie, denn das bedeutet für mich Nachhaltigkeit pur. Zero Waste bedeutet für mich nicht, wie es der Begriff zugegebenermaßen impliziert, dass kein Müll anfallen darf, sondern dass Verpackungen so weit wie möglich reduziert werden – und am besten wiederverwendet werden.

Johannes Kamps-Bender: Auf das Wiederverwenden kommt es an. Bei Demeter verwenden wir zum Beispiel den Mist der Tiere ­wieder, der dann neues Leben ermöglicht. Weil wir in diesem Kreislauf denken, sind wir der einzige ökologische Anbauverband mit obligatorischer Tierhaltung auf den Bauernhöfen. Der Mist sorgt für wertvollen Kompost, der Grundlage ist für die Zunahme der Bodenfruchtbarkeit im Biodynamischen. Für die einen ist Mist ­Ab­fallprodukt und führt etwa in der ­Massentierhaltung – wenn nicht genügend Land zur Verfügung steht – zu Problemen. Für uns ist er ein wertvoller Rohstoff für eine nachhaltige Landwirtschaft.

Milena Glimbovski: Interessant ist es ja, dass so ein Kreislaufsystem auch weitere Kreise zieht. Dadurch, dass wir und andere Unverpackt-Läden immer mehr Menschen zum verpackungsfreien Einkaufen inspi­rieren oder gar dazu, dass sie selbst einen Unverpackt-Laden eröffnen – in Deutschland sind es heute über hundert! –, stellen sich auch die Hersteller um. Was es 2012, als ich anfing, Produkte für ein solches ­Ladenkonzept zu suchen, noch nicht gab, steht bei uns heute in den Regalen: Wir haben Mehrwegbehälter für Öle, Kaffee, Müslis und Tomatenpassata.

Milena Glimbovski,

29, ist Unternehmerin, Autorin und Zero-Waste-Aktivistin. 2014 eröffnete sie den Lebensmittelladen „Original Unverpackt“ in Berlin-Kreuzberg und machte das Konzept „Zero Waste“ in Deutschland bekannt. Sie eröffnet gerade den zweiten OU-Laden. Als „Milenskaya“ ist sie auf Twitter und Instagram aktiv.  

Johannes Kamps-Bender,

53, Demeter-Vorstand, Betriebs- und Landwirt, Berater und Coach. Bevor er im Mai 2018 zum Demeter-Vorstand berufen wurde, betrieb der Experte für strategische Markenbildung und -führung einen Bio- und Archehof im Nebenerwerb. Sein Herzensprojekt ist die Bauernhof- und Erlebnispädagogik.

Wie kamst du dazu, „Original ­Unverpackt“ zu gründen?

Milena Glimbovski: Die Idee, einen eigenen Laden zu gründen, hatte ich 2012. Damals wollte ich selbst einfach nur verpackungsfrei einkaufen. Ich habe mich geärgert, dass das einfach nicht möglich war. Es war also nie mein Ziel, zu gründen oder eine Bewegung zu starten, sondern es begann damit, eine Lösung für mein Alltagsproblem selbst zu erschaffen, von dem ich dachte, dass es vielleicht auch andere haben. Nach viel Arbeit konnte ich dann zwei Jahre später den „Original Unverpackt"-Laden eröffnen, einen der ersten in Deutschland. Damals war der Begriff „zero waste“ noch neu und ich musste ständig erklären, was „original unverpackt“ bedeutet. Mit Schraub- und Weckgläsern sowie mit Stoffbeuteln und Tupperdosen ausgerüstet einzukaufen, ­wurde vor sieben Jahren wirklich noch belächelt. Das hat sich heute komplett ­gewandelt! Das bewusste Einkaufen – ob bio, fair, regional oder eben „zero waste“ – spielt heute eine viel größere Rolle, auch in den sozialen Medien. Es sind nicht mehr nur die ­Hardcore-Ökos und Hippies, die den ­Jutebeutel aus dem Rucksack ziehen, ­sondern alle Menschen von jung bis alt.

Was ist denn an Verpackung so schlecht?

Milena Glimbovski: Verpackung ist an sich etwas Gutes: Sie hält die Produkte frisch, sorgt für Hygiene und für ein gutes Aussehen zum Verkauf. Das Problem sehe ich bei Einwegverpackungen. Diese werden nur ganz kurze Zeit benutzt, stehen nur wenige Stunden im Regal, werden in wenigen Minuten nach Hause transportiert, wo dann die Verpackung zum Müll wird, der in der Tonne oder im Gelben Sack landet. Nun braucht die Verpackung aus Plastik, wenn sie nicht verbrannt wird, Jahrhunderte bis sie abgebaut ist. Im schlimmsten Fall landet sie im Meer, zerfällt dort und gelangt in die Fische und Meerestiere. Als Mikroplastik kommt sie dann auch wieder auf unsere Teller.

Johannes Kamps-Bender: Ja, das Material gelangt für Hunderte von Jahren in ­unsere Ökosysteme. Demeter hat beschlossen, aus der Plastikverpackungsflut auszusteigen. Wir starten mit frischem Obst und Gemüse – da ist die Plastikverpackung besonders ärgerlich, weil sie die Produkte nur für ­kurze Zeit umhüllt und im Müll landet, sobald die Verbraucher die Produkte nach Hause gebracht haben.

Milena Glimbovski: Das finde ich toll, dass Demeter das macht! Das passt zu euch und euren Ansprüchen. Plastik ist aufgrund seiner Nichtzersetzung ein Problem und wird zudem aus einer fossilen und end­lichen Ressource hergestellt. Ich bin der Meinung: Verpackung ist toll – wenn sie Mehrweg ist!

Keine Plastikverpackungen für Obst und Gemüse

Verbraucher*innen wollen ihr Demeter- Obst und -Gemüse ohne eine Plastikverpackung kaufen, die die Umwelt belastet. Deshalb haben wir unsere Richtlinien angepasst und Plastikverpackungen für die sogenannte „Grüne Frische“ verboten. Doch das ist nur der erste Schritt einer Verpackungsrichtlinie, die wir Stück für Stück erarbeiten werden, um auch bei den Verpackungen von Demeter- Produkten unseren hohen Anforderungen an einen schonenden Umgang mit der Umwelt besser gerecht zu werden.

Wie funktioniert das Einkaufen hier im „Original Unverpackt"-Laden? Was muss ich mitbringen?

Milena Glimbovski: Eigentlich ist es ganz einfach: Am besten packt man etwas Tupper­ware, Gläser oder Stoffbeutelchen mit Zug und Jutebeutel ein. Dann kommt man in den Laden, wiegt alle Behälter zunächst leer ab, geht dann einkaufen und füllt sich genau die Mengen der jeweiligen Produkte ab, die man braucht. Zudem ­bieten wir auch kleine Stoffbeutel in verschiedenen Größen an, von denen ich selbst viele in verschiedenen Größen besitze – die kann man mit den meisten Trockenwaren ganz einfach befüllen, nur für Pulvriges oder Flüssiges braucht man wirklich Behälter.

Johannes Kamps-Bender: Es ist aber wirklich eine Kopfsache und echtes Lernfeld, die Beutel dann auch dabeizuhaben. Zu Hause auf dem Hof konnte ich einfach mal kurz in den benachbarten Hofladen oder die Vorratskammer. Heute bin ich viel unterwegs, kaufe bedarfsgerecht und gezielt ein und ärgere mich immer, wenn ich merke, dass ich doch keine Beutel eingesteckt habe.

Milena Glimbovski: Erst ist es ein Jutebeutel, den ich immer in meiner Tasche oder meinem Rucksack dabeihabe, dazu kommt dann irgendwann der wiederverwendbare Kaffee- oder Teebecher, um den Kaffee-to-go zu genießen. Ja, da gebe ich dir recht: Es ist eine Kopfsache, die zur Gewohnheit wird und über die man irgendwann gar nicht mehr nachdenkt. Inzwischen bieten wir im Laden übrigens kein Obst und Gemüse mehr an, weil inzwischen ganz viele Bioläden hier auf Verpackungen verzichten. So haben wir jetzt mehr Platz für Dinge, die schwer unverpackt zu bekommen sind.

Der Laden von innen

Johannes Kamps-Bender: Demeter-Obst und -Gemüse gibt’s nicht nur in vielen Bioläden ohne Verpackung, sondern auch auf dem Wochenmarkt oder direkt beim ­Bauern im Hofladen. Oder im Gemüse­kisten-Abo! Auch über solche direkten ­Verkaufswege spart man sich jede Menge unnötigen Verpackungsmüll.
Milena, wie bist du selbst dem ­Verpackungswahnsinn entkommen?

Milena Glimbovski: Als ich nach meinem WG-Leben das erste Mal allein wohnte, war ich geschockt, dass ich allein jeden zweiten Tag einen gelben Sack voller Verpackungsmüll in die Tonne tragen musste. Ich konnte damals nicht kochen und habe mich hauptsächlich von Convenience-­Produkten ernährt, die – natürlich! – in Plastik verpackt waren. Ich persönlich habe dann einen Schritt nach dem anderen ­getan. Da der meiste Müll beim Essen entstand, habe ich geschaut, wie ich mich in diesem Bereich verbessern kann. Dann folgte das Badezimmer, der Kleiderschrank und so weiter. Ein großer Einschnitt war allerdings die Geburt unseres Sohnes. Vor einem Jahr bin ich Mutter geworden – und war wieder schockiert, wie viel Müll sich allein dadurch ansammelt, dass jetzt neben mir und meinem Freund auch ein Baby in unserer Wohnung lebt. Nach einem Monat Einwegwindeln haben wir eine Stoff­windelberatung bekommen – und sind dann auf wieder­verwendbare Stoffwindeln umgestiegen – bis heute. Das war kein Selbstläufer, sondern eine bewusste Entscheidung, die spezielle Unterstützung durch die Beraterin bedurfte. Aber auch hier gilt: Schrittweise vorgehen und schauen, wo wir unseren ­Alltag mit Kind nach­haltiger gestalten ­können.

Minimalismus macht glücklich!

 

Milena Glimbovski, Zero-Waste-Aktivistin

Bist du Minimalistin?

Milena Glimbovski: Auf jeden Fall! Es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als Dinge sinnvoll loszu­werden. Das ist so, wie wenn man einen Ballast abwirft. Ich genieße dann die Leerstelle in der Wohnung. Gleichzeitig nehme ich wieder anderen ihren Ballast ab – erst kürzlich erwarb ich übers Internet secondhand einen Autokindersitz für meinen Sohn. Und der Vorbesitzer war so glücklich, dieses Riesending loszuwerden! Im Sommer waren wir als Kleinfamilie wochenlang in Schweden unterwegs und haben aus einer Reisetasche und einem Koffer gelebt. Das war wunderbar. Wir hatten alles, was wir brauchten. Ich bin der Überzeugung: Minimalismus macht nachhaltig glücklich!

Johannes Kamps-Bender: Das Gefühl kenne ich. Ich bin am liebsten mit meinem Campingbus unterwegs, in den Ferien, aber auch dienstlich, wenn ich als Demeter-Vorstand zu Mitgliedertreffen, Herstellern oder Höfen unterwegs bin. Da habe ich alles, was ich brauche. Da bin ich so frei, wie es nur geht – und dabei der Natur ganz nahe, weil ich überall anhalten und bleiben kann.

Du bist in der Zero-Waste-Bewegung ein Vorbild. Schauen da auch alle genau hin – und musst du dich oft erklären oder verteidigen?

Milena Glimbovski: Ja, das muss ich oft. Ich lebe nicht rundum perfekt nachhaltig, das schaffe ich nicht. Ich gehe ­Kompromisse ein. Wenn ich es etwa nicht in die Markthalle geschafft habe, wo ich den körnigen Frischkäse unverpackt hätte kaufen können, dann hole ich ihn im Bioladen, auch wenn er in Plastik verpackt ist. Oder auch Mascara: Klar, auf diese kann man ganz verzichten oder sie sogar selber herstellen. Da habe ich aber beschlossen: Ich möchte sie verwenden und dann kaufe ich sie mir, achte dabei aber darauf, dass sie regional, fair, bio und ohne Tierversuche hergestellt wird. Aber ich gebe zu, dass der Druck vor allem auch in den sozialen Medien groß ist. Bei einem Foto anlässlich des ersten Geburtstags ­meines Sohnes habe ich mich schon vorauseilend für den Luftballon im Foto entschuldigt. Dass er ein Geschenk war und ich ihn selbst nicht gekauft hätte, habe ich gleich schon voller Voraussicht in die Bildunterschrift geschrieben, damit da keine Kritik aufkommt. Ich gebe zu, dass das manchmal nervt, dass man die „perfekte Zero-Waste-Welt“ erwartet. Denn das setzt die Hürden hoch. Der Weg ist das Ziel – und jeder kann anfangen, kleine Schritte zu gehen.

In drei Schritten: Wie kann ich Müll reduzieren?

Johannes Kamps-Bender: Das sehe ich genauso. Auch die Bio- und die Demeter-Welt sind noch nicht perfekt. Wir stehen vor großen Herausforderungen, die wir noch meistern müssen, um unseren ethischen Ansprüchen zu genügen. Gerade beim Verpackungsthema. Demeter hat in einem ­ersten Schritt Plastikverpackungen bei Obst und Gemüse verbannt. Doch das ist nur ein erster Schritt. Wir arbeiten an einer Ver­packungsrichtlinie, sind auf dem Weg. Als lebendige Bewegung und Gemeinschaft überlegen wir uns auch, wie ein Verzicht auf Plastik bei anderen Produkt­gruppen aus­sehen kann. Da müssen wir Lösungen finden, die unsere Mitglieder tragen können.

Milena, aus dem Ladenprojekt ist ­inzwischen auch eine Bewegung ­geworden. Hast du weitere Pläne, um die Welt zu verbessern?

Milena Glimbovski: Ja, „Original Unverpackt“ ist inzwischen weit mehr als nur ein Laden. Es ist eine Marke, aber auch eine Bewegung für ein möglichst verpackungsarmes und nachhaltiges Leben und Kon­sumieren. Ich wünsche mir, dass die Be­wegung wächst – und dafür ist viel Auf­klärungs- und Marketingarbeit not­wendig. Das ist meine große Aufgabe! Wir nutzen hier vor allem Social-Media, um über einen ökologischen und nachhaltigen Lebensalltag zu informieren und uns zu vernetzen. Ein Herzensanliegen bei dieser ­Bildungsarbeit sind auch unsere Onlinekurse, in denen wir zeigen, wie man einen eigenen Unverpackt-Laden eröffnen kann. Zurzeit fließt auch viel Arbeit in die Eröffnung des zweiten „Original Unverpackt"-Ladens, der im Westen Kreuzbergs eröffnet wird – der ist viel größer als dieser hier.

Und du, Johannes?

Johannes Kamps-Bender: Ich sehe eine große Aufgabe für mich darin, Bio als Bildungsauftrag in die Gesellschaft zu bringen, in den Mainstream. Mein Wunsch ist es, dass Bio das neue „normal“ wird. Dafür fangen wir am besten da an, wo uns Zukunft entgegenkommt: in den Kitas und Schulen. Dazu gehört für mich die Bauernhofpädagogik – und für die Gesellschaft offene Türen und Tore, wie wir sie auf vielen Demeter-Höfen bereits finden. Wir haben – das sehe ich genauso wie du, Milena – heute auch wieder viele junge Menschen, die sich die Frage nach dem „guten“ Konsumieren und einer anderen Form des Wirtschaftens stellen. Und das macht auch Hoffnung für die Biobewegung.

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