Lola Randl ist aus der Großstadt aufs Land in die Uckermark gezogen. Ihre Begeisterung fürs Dorfleben steckt an: Nicht zuletzt durch ihren Kinofilm „Von Bienen und Blumen“ und ihr Buch „Der Große Garten“ hat sie viele Städter in ihr Dorf gelockt – zu viele, findet sie inzwischen. Ein Gespräch über den ewigen Kreislauf vom Säen, Wachsenlassen und Vergehen im „Großen Garten“ von Gerswalde.
Es war Stadtflucht, aber gleichzeitig auch eine Art Heimkehr. Mit fünf wurde ich aus München in ein Oberpfälzer Dorf verpflanzt. Ich würde zwar schon sagen, dass ich damals ein Dorftrauma davongetragen habe, dennoch hat diese Zeit mein Heimatgefühl geprägt. Heimat fühle ich nur im Dorf, seltsamerweise gehört für mich dabei auch das Gefühl dazu, fremd im Dorf zu sein. Aus Berlin musste ich raus, weil es mir da zu voll war. Ich war umgeben von zu viel Gleichem, von zu viel Aufregung um sich selbst. Ich wohnte mittendrin, genau da, wo Berlin-Mitte auf den Prenzlauer Berg trifft – und habe es letztendlich unter all diesen kreativen Projektmenschen einfach nicht mehr ausgehalten.
Wir sind so acht Personen, wenn wir weniger sind, Aupair, Workaway und die Japanerinnen, die hier das Café haben, sind auch hier. Im Sommer sind wir dann allerdings sehr viele. Dieses Jahr waren es mir sogar zu viele. Manchmal habe ich mich kaum noch aus dem Haus getraut, so viel war hier los.
Mit Absicht kann man bei mir immer so schwer sagen. Entweder es ist alles irgendwie mit Absicht. Oder es ist alles eher absichtslos, wie wenn man etwas anstößt und dann schaut, was passiert – wie so ein Kind es tut. Ja, als wir vor zehn Jahren hierherkamen, war es mir schon zu einsam und so habe ich begonnen, Freunde aus der Stadt hier rauszulocken. Zuerst habe ich ein Café eröffnet und es dann auch selbst betrieben – aber es kam eigentlich nie jemand. Ich habe dann einen Zettel hinterlassen und draufgeschrieben, dass wer Kaffee und Kuchen will, mich anrufen soll. Ganz selten hat das dann auch jemand gemacht. Die Leute, die sich dann später angesiedelt haben, haben gespürt, dass hier ein Freiraum für sie ist … Ich habe das einfach nur – mehrfach und über viele Jahre – angestupst.
Durch den Film „Von Bienen und Blumen“, also schon bei den Dreharbeiten, wurden es dann mehr, denn da wurden die Einzelnen, die zu den Arbeitseinsätzen rauskamen, zu Protagonisten der Erzählung und wollten ihre Rolle einnehmen. Zu den Freunden, die kamen, kamen dann die Freunde der Freunde und schließlich die Freunde der Freunde der Freunde. Durch den Film und das Buch kommen jetzt viele, die ich nicht mehr selbst kenne. Und jetzt lockt zum Beispiel das japanische Café, das im Großen Garten eröffnet hat, ganz eigene Fans und Interessierte hierher.
Es treffen schon zwei Welten aufeinander. Es sind eben doch ganz andere Menschen, die hier teilweise herkommen, wie man sie hier im Dorf bisher nicht kannte. Die neuen Besucher sind Leute, die sich auf der ganzen Welt bewegen und die das Dorf und seine Umgebung eigentlich nur in Bildern oder auch in Ideen sehen. Sie kommen hierher, um etwas Bestimmtes zu finden: Sie suchen – und fotografieren – hier dann etwa „das Japanische“ oder „das typisch Brandenburgische“, diese Leere, für die die Uckermark bekannt ist. Sie haben diese Bilder bereits im Kopf, bevor sie kommen – und sie bereits schon wieder auf Instagram geteilt, bevor sie abfahren. Teilweise tragen sie lustige Gewänder, stellen sich in Felder – da wundert es mich nicht, dass die Dorfbewohner das erst einmal befremdlich finden. Man muss sich halt kennenlernen, aber das wird schon ein paar Jahre dauern. Aber es hat ja schon angefangen.
Ja, und da funktioniert das Zusammenwachsen und Sich-Kennenlernen natürlich besser. Denn jeder Neu-Dörfler, der dauerhaft hier lebt und kein „Wochenendler“ ist, teilt mit den Alt-Dörflern eine gemeinsame Realität. Unsere Kinder spielen zusammen, wir helfen einander aus. Eine Offenheit braucht es jedoch von beiden Seiten – und ein Aufeinanderzugehen. Es treffen hier Prämissen des Lebens aufeinander, die nicht so einfach vereint werden können. Dabei hat allerdings der Film sehr geholfen, denn er war ein Projekt, das diejenigen, die hier leben, miteinander geteilt haben. Insgesamt haben sich nun zehn weitere Familien im Dorf angesiedelt – zum Beispiel die Hebamme Maresa oder Jan, der Schmied und Metallbauer ist. Es gibt also weiterhin Menschen, die merken: Hier auf dem Land finde ich den Freiraum, um mein Potenzial zu entfalten. Das Problem ist eben, dass man seinen Beruf hierher mitbringen oder erschaffen muss.
Auf jeden Fall! Es ist ja schon recht viel gewachsen. Es ist jetzt eher die Frage: Was macht man mit den ganzen Pioniergewächsen, deren Samen hier vorbeiwehen und die hier wurzeln wollen? Soll man versuchen, ihnen eine Form zu geben oder sie zu stutzen? Bei neuen Pflänzchen muss man sich fragen: Wo haben die jetzt noch Platz? Es gibt momentan mehr Menschen, die gerne mit ihren Projekten hierherkommen möchten, als es dafür Möglichkeiten gibt, weil einfach keine freien Häuser mehr da sind.
Die Freiheit und die Leere. Der Platz und die Möglichkeiten. Es war bei mir wie in der Natur: Wenn eine Pflanze eine Nische gefunden hat, dann breitet sie sich erst mal verrückt aus. Jetzt habe ich aber das Gefühl, ich bin genug gewachsen hier.
Ich glaube nicht, dass ich als Person so tiefe Wurzeln haben kann, ich bin keine Tiefwurzlerpflanze. Hier bin ich mir einfach zu bekannt geworden, das wird jetzt für mich manchmal ein Problem. Früher konnte ich hier so viele Leute vom Landleben begeistern und wusste immer, was meine Rolle in dem Spiel ist. Heute weiß ich das nicht mehr beziehungsweise ich weiß nicht, ob mir meine Rolle noch gefällt. Nach einem Sommerwochenende mit vielen Besuchern im Großen Garten und im Haus fühle ich mich einfach ziemlich erschöpft. Aber das ist eben auch ein typisches Symptom eines starken Wachstums.
Naja, andere haben hier auch Wurzeln geschlagen, etwa meine Kinder. Und ich kenne mich dann auch schon zu gut: Die Vorstellung, woanders hinzugehen und wieder etwas anzuzetteln, ermüdet mich auch. Vielmehr denke ich, dass ich meine Rolle hier umschreiben kann. Natürlich geht das in der Literatur und im Film einfacher als im wirklichen Leben.
Ja, die Realität geht in den Film rein, doch der Film ändert auch die Realität. Ich wüsste nicht, ob ich den Liebhaber sonst genau in dem Haus gegenüber einquartiert hätte. In der Realität wäre mir das eigentlich zu abstrus gewesen, aber die Dramaturgie für den Film hat das gebraucht. Das muss dann das Leben aber auch aushalten.
Neue Familienformen zu erforschen und zu leben, ist natürlich nicht einfach. Doch ich finde, es loht sich, und sie sind es wert, erforscht und gelebt zu werden. Wenn was nicht ganz funktioniert, bedeutet das ja nur, dass man noch nicht herausgefunden hat, wie es gehen könnte. Oder man schließt einfach seinen Frieden mit dem Nichtfunktionieren, dann geht es trotzdem. Der Mensch hat jetzt nun mal so viele Möglichkeiten. Der Minimalismus klammert den Pluralismus bewusst aus. Die Faszination daran kann ich verstehen, doch ich kann mir auch eine Art Schwingung zwischen den Möglichkeiten vorstellen. Das passt besser zu mir. Nicht nur, was Beziehungen anbelangt, auch ein Schwingen zwischen den verschiedenen Aufgaben – Gartenprojekt, Film, Schriftstellerei. Zwischen Stadt und Land.
Wir haben viel gesät, und es ist auch viel aufgegangen. Vieles auch nicht. Der Film sollte zuerst ein episodischer Film zu den Jahreszeiten mit Köchen werden. Das ist aber nicht angewachsen. Dafür ist etwas anderes aus einer unbeobachteten Ecke gesprossen. Später wuchs daraus noch das Buch. Und dass die Japanerinnen angeweht sind und den Garten „kultiviert“ haben, ist sehr schön anzuschauen. Aber es geht immer weiter. Das Tolle am Auf-dem-Land-Sein ist ja, dass man die Natur im ganzen Jahresverlauf mitbekommt. Jahre sind so absurd: Sie sind irgendwie immer gleich und irgendwie ist jedes ganz anders. Im Winter kann man sich gar nicht vorstellen, dass es jemals wieder Frühling wird, und dann, irgendwann, lässt es sich überhaupt nicht mehr aufhalten. So steckt im immer Gleichen die ständige Veränderung. Da muss der Minimalismus noch mal überlegen.
„Der Große Garten“, 320 Seiten, Matthes & Seitz Berlin
Eines Tages beschließt die Filmemacherin Lola Randl, dem Berliner Stadtleben den Rücken zu kehren und in Ruhe einen Garten zu bewirtschaften. Im Herzen der Uckermark beschäftigt sie sich mit Saatzeiten und Bodenqualitäten, Schädlingen und Unkraut, Beschnitt und Lagerungstechniken. Doch so richtig will die Hinwendung zur Natur und zu einem einfachen, unkomplizierten Leben nicht gelingen: Zum Ehemann gesellt sich der Liebhaber, und als das Verhältnis mit ihrem Analytiker zu eng wird, wird dieser von einer Therapeutin abgelöst. Während Randl die Stadt aufs Land bringt und versteht, dass man vor sich selbst nicht davonlaufen kann, beginnt der Garten ebenso bunt zu blühen wie das Dorfleben, bereichert um kochende Japanerinnen, Künstler*innen, Utopist*innen und Glückssucher*innen aller Art.
Allerdings! Für mich ist er ein guter Therapeut, weil er das eigene Verhältnis zwischen sich selbst und der Natur sichtbar macht. Es tut gut, die Natur zu beobachten, die sich ja viel gleichmütiger ihrem Dasein ergibt, als wir Menschen es tun. Die Pflanzen und Tiere, sie sind immer in diesem Wechsel, immer in ihrem Kreislauf. Und dann frage ich mich: Warum rege ich mich so auf, warum will ich so viel? Das relativieren die natürlichen Kreisläufe – und ich sehe an ihnen, dass dieses Werden und Vergehen eine Systematik hat, die heilsam und gut ist. Und wo alles seinen Moment hat: ein Keimling, der aus dem Boden kommt, eine Blüte, die sich öffnet, eine Frucht, die vom Baum fällt, ein Blatt, das sich färbt. Da kannst du dein Leben – also das Werden und Vergehen – im Kurzdurchlauf mitverfolgen und sehen, dass es gut und okay ist – und auch gar nicht anders gehen kann. Der Garten lehrt das Loslassen von Dingen, an denen man festhalten will, oder auch etwas mehr Lockerheit gegenüber Ansprüchen, dies oder jenes unbedingt erreichen zu wollen – und vielleicht sogar die Erkenntnis, dass das, was man erreichen will, vielleicht so gar nicht existiert. Wenn man sich durch das Erleben im Garten selbst ein bisschen mehr als Pflanze oder Tier betrachten kann, also als Teil dieses Paradieses und dieser natürlichen Ordnung, ist es schon hilfreich.
Das Sich-Entfalten hat eine tolle Energie! Doch ich finde beim persönlichen Wachsen nicht nur die Selbstentfaltung interessant, sondern eben auch das Vergehen. Also den Prozess des Wieder-Verschwindens, der einem starken Wachsen folgt. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich zurzeit frage: Was kommt als Nächstes? Schon immer beschäftige ich mich gedanklich mit dem Tod. Vor Kurzem habe ich festgestellt, dass ich es sehr schade fände, wenn ich eines Tages ganz plötzlich und überraschend – etwa an einem Herzinfarkt – sterben würde. Da würde ich lieber bewusst mein eigenes Vergehen erleben.
Den hohen Anspruch an Selbstverwirklichung, den wir heute haben, finde ich wahnsinnig anstrengend. Das geht nicht nur mir so, denn es gibt ja viele Menschen mit Erschöpfungserscheinungen und Burn-out. Und dieses Aufs-Land-Gehen ist dabei ja so eine Art Rückzug aus der stressigen, kompetitiven, vollen Stadt. Gleichzeitig lässt sich die Selbstverwirklichungsidee auch nicht ausrotten. So viele spüren, wenn sie aus der Großstadt aufs Land gekommen sind – und sich ihre Selbsterschöpfung erschöpft hat –, neue Energie und Kraft. So ging es mir auch, ich merkte: Hier kann ich mein inneres Potenzial entfalten, hier gibt es Raum und auch die Stille für die Konzentration, die es dafür braucht. Der Mensch hört nicht auf, sich selbst verwirklichen zu wollen – und das ist auch gut!
Meine Idee für die Akademie, die hier entstehen soll. Ich habe davon noch keine festen Vorstellungen, sondern sehe es mehr so, dass dieser Samen auf Menschen wartet, die die Gründung in die Hand nehmen und die Akademie mit Ideen und Leben füllen. Die Menschen sind dabei dann der Kompost, den die Idee als Nahrung braucht. Ich habe diesen Samen gesät, weil ich möchte, dass weniger Touristen hierherkommen, deren Ziel eben zwangsläufig das Konsumieren ist. Es soll etwas tiefer gehen als die visuelle Matcha-Cheesecake-Romantik bei uns im Großen Garten. Ich wünsche mir, dass Menschen hierher zum Lernen kommen, zum echten Austausch. Sodass echte Beziehungen wachsen können und neue Samen gesät werden – wo auch immer es sie dann hinträgt. Die Akademie soll etwas sein, das es so noch nicht gibt oder für das es eben noch keinen Platz zur Entfaltung gab. Und das führt zur Frage: Wie kann etwas Neues entstehen? Ein Garten ist dafür eben eine gute Metapher. Er ist ein abgegrenztes Areal, innerhalb dessen der Gärtner ideale Bedingungen schaffen kann und damit die entscheidenden Impulse für ein Wachstum gibt. Bei der Akademie geben dann die Menschen, die sich einbringen, die entscheidenden Impulse. Und dann muss man sich überraschen lassen, was daraus wird.
Der Schlossgarten in Gerswalde wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Felix von Arnim im barocken Stil angelegt. Seine Frau Emily ließ auf den nach Süden ausgerichteten Feldsteinterrassen kalifornisches Obst anbauen. Heute sind die Terrassen mit wilden Wiesen bewachsen, wo Workshops, Lesungen, Ausstellungen und Feste stattfinden. Im Großen Garten wachsen nicht nur viele und besondere Pflanzen wie etwa die bei Besucher*innen für sehr fotogen erachteten Tabakpflanzen oder die zehnköpfige Artischocke, die von Lola Randls Mutter Marie gepflanzt und gehegt wurde, inzwischen gibt es dort auch ein ganz wunderbares japanisches „Café zum Löwen“ im Palmenhaus, die Bar und Eismanufaktur „Paradieschen“ und die Fischräucherei „Glut & Späne“.
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