Dass sich das Ehepaar von Bonin mit 56 (Elisabeth) und 74 Jahren (Gyso) nochmals ein neues Leben aufbauen kann, ist mehr als ein glücklicher Zufall. Davon ist Gyso von Bonin überzeugt. Er strahlt Glück und Gelassenheit aus, wie er vor dem Verwalterhaus des Hofguts Eggeringhausen im Schlosshof sitzt.
Auf seinem Schoß: ein kleiner Holzrahmen aus dem Bienenstock, den er sorgfältig und mit sichtbarer Freude mit einem Messer säubert. Weitere kleine Rahmen liegen auf dem Boden, und die Hofkatze reibt sich an ihnen, bevor sie wieder zu ihren Jungen tigert. Die Sommersonne hat die Luft aufgeheizt, aus dem Fenster über der Bank, auf der Gyso sitzt, klappern Töpfe. Elisabeth von Bonin kocht. Das tut sie fast jeden Tag – seit einer Weile habe er einen Küchentag übernommen, erklärt Gyso und lacht: „Dass ich nicht mehr der Chef bin, muss ich gerade lernen. Auf Körtlinghausen hat inzwischen meine Tochter Inge mit ihrem Mann das Sagen – und hier, in Eggeringhausen, meine Frau.“ Körtlinghausen, 16 Kilometer von seiner Bank entfernt, war fast 40 Jahre lang seine Wirkungsstätte. Dort hat er das Hofgut gepachtet, auf Demeter umgestellt und aufgebaut, gemeinsam mit seiner Frau. Erst vor zwei Jahren sind die beiden auf das Hofgut Eggeringhausen in Mellrich-Anröchte in der Nähe von Soest gezogen.
„So ein Neuanfang hat einen besonderen Zauber und erfüllt uns mit Tatendrang. Wir haben hier einen wunderschönen Platz und eine neue Aufgabe im fortgeschrittenen Alter gefunden“, erzählt Elisabeth nach dem gemeinsamen Essen mit der Gärtnerin Ingeborg Levenig und dem Gesellen Conrad Gramm. Während sich andere zu ihrem Lebensabend hin gemütlich einrichten, fragten Elisabeth und Gyso sich nochmals neu, was Leben wirklich ausmacht: „Wie wollen wir leben? Wie wollen wir arbeiten, was erreichen? Mit wem?“ Eine Antwort haben sie bereits gefunden: Sie wollen das Hofgut Eggeringhausen auf Demeter-Landwirtschaft bzw. -Gemüsebau umstellen und es neu beleben. Mit Menschen, Tieren, einer Vielfalt an Pflanzen und großen wie kleinen Ideen.
„Ganz zentral dabei ist der Boden. Auch er muss wieder lebendig werden. Dabei reicht es nicht, einfach nur Chemie und Pestizide wegzulassen. Wir fördern das Bodenleben durch biodynamische Präparate, aber auch durch Mulchen, Kompost, Mist – und eine Fruchtfolge, die Nährstoffe in den Boden bringt.“ Nach zwei Jahren in der Umstellung bekommt der Betrieb seine Demeter-Zertifizierung. „Wir freuen uns über jeden Quadratmeter Erde auf der Welt, auf dem keine Pestizide mehr eingesetzt werden. Wenn wir sehen, wie viel Leben in den zwei Jahren wieder eingezogen ist, zeigt uns das: Wir tun das Richtige. Und es ist alle Mühe wert“, so Gyso.
Elisabeth von Bonin hatte schon von Jugend an den Impuls, einen Beitrag für die „Heilung“ der Natur und der Menschen zu leisten. Nach dem Abitur absolvierte sie die landwirtschaftliche Lehre, ging danach nach Irland auf einen Camphill-Hof, um mit Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft zu arbeiten, bevor sie dann gemeinsam mit Gyso ihre Familie mit fünf Kindern auf dem Hofgut Körtlinghausen gründete. Als die Kinder ein bisschen größer waren, verantwortete sie den Bereich der Milchviehhaltung. „Die pädagogische Soziale Arbeit ist mir ein Anliegen, denn die Landwirtschaft ist viel mehr als reine Produktion: Sie ist für mich auch der Auftrag, Menschen in die Natur zu bringen.“ Diesem widmet sie sich jetzt auf Eggeringhausen.
„Und doch sind wir erst am Anfang“, präzisiert Elisabeth. Sie hat noch viele Pläne. Einer davon: Pädagogik und Soziale Arbeit mit der Landwirtschaft zu verbinden, einen „Lernort Bauernhof“ auf dem Hofgut Eggeringhausen zu schaffen. Die ersten Schritte sind getan: Sie hat nicht nur neben all der Hofarbeit ihr Bachelorstudium in Sozialer Arbeit abgeschlossen. Sondern sie empfängt – gemeinsam mit Friederike von Fürstenberg, die den zugehörigen Wald auf Schloss Eggeringhausen betreut – einmal die Woche Kinder einer Soester Schule. Die sollen bei ihr das Hofleben, die Arbeit auf dem Acker, in der Gärtnerei, mit den Tieren und im Wald kennenlernen. „Durch die Begegnung mit dem Boden, den Pflanzen und vor allem mit den Tieren bekommen die Kinder eine Beziehung zu dem, was hier lebt.“
Für die Zukunft kann sie sich einen Dachausbau über den ehemaligen Pferdeställen vorstellen, in denen sich der Hofladen befindet. So gäbe es ausreichend Platz für Übernachtungen von ganzen Schulklassen, die hier ihr Landwirtschaftspraktikum absolvieren. Und natürlich wünscht sie sich, künftig noch mehr Tierarten zu halten. Schon jetzt zieht es die Schulkinder, kaum auf dem Hof angekommen, stets zur Katze mit ihren vier Jungen, zur Ammenkuh Jasmin mit ihrem Kalb und den übrigen Rindern. Oder, wenn auch mit einem gewissen Respekt, hin zu Gysos Bienen. Ein anderer Zukunftswunsch, mit dem sie Menschen jedes Alters an das Landleben und die Landwirtschaft heranführen will, ist Elisabeths Idee, auch hier eine SoLaWi (Solidarische Landwirtschaft) zu begründen: „Damit auch andere Menschen teilhaben können an den Prozessen auf einem Gärtnerhof, auf Wunsch mitmachen und das große Glück empfinden können, mit den Händen zu arbeiten und die Natur und die Jahreszeiten zu spüren.“
Doch verlangt ihr die Landwirtschaft auch einiges ab. Ihre Tochter Lucia sagte sofort: „Mama, das Thema Kraft passt zu dir“, als Elisabeth ihr von ihren Überlegungen erzählte, bei diesem Beitrag im Demeter Journal mitzuwirken. Und Tochter Lucia meinte damit nicht nur Elisabeths körperliche Kraft, die aus deren energievollen, ruhigen Bewegungen und dem federnden Gang abzulesen ist. Sondern vor allem auch ihre Willens- und Gedankenkraft, mit denen die Mutter ihre Träume verfolgt. Diese Kraft bezieht Elisabeth vor allem aus der Arbeit in der Natur und im Garten. Die Meditation ist für sie ebenso eine Kraftquelle, für die sie sich täglich Zeit nimmt: „Das lässt mich meine innere Stärke spüren und gibt mir ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Ich stelle mir konkret vor: Was will ich hier? Was ist meine Aufgabe jetzt und heute? – Je konkreter ich mir dies vorstelle, desto stärker wirkt diese Gedankenkraft in mir. Ich werde frei für Neues, und die Dinge sortieren sich.“
Das heißt nicht, dass die vielen Aufgaben, die täglich anstehen, ihr nicht auch mal zu viel erscheinen. Während Gyso für den Acker- und Getreidebau verantwortlich ist, hat Elisabeth die Gesamtleitung inne und ist gleichzeitig hauptverantwortlich für den Gemüsebau und die Vermarktung der Hofprodukte. „Es gibt natürlich auch Nächte, in denen ich nicht gut schlafe, weil mir so vieles durch den Kopf geht: der Gartenbau, die Vermarktung unserer Produkte, die Planungen für neue Projekte – es gibt so viel mitzudenken! Aber am großen Ganzen habe ich nie gezweifelt.“
Gyso von Bonin ist auf einem kleinen Demeter-Hof in Holstein aufgewachsen, studierte nach einer Ausbildung bei der Polizei Mathematik in Berlin und in Marseille und wurde dann als Mathematiker Landwirt: 39 Jahre lang hat er die Landwirtschaft auf dem Hofgut Körtlinghausen gepachtet und aufgebaut, bevor er mit Elisabeth 2019 den Neuanfang in Eggeringhausen gewagt hat. Gysos Herzensangelegenheit war in den letzten 40 Jahren, andere Menschen vom Ökolandbau zu begeistern und ihnen bei der Umstellung zu helfen: Im Rahmen des Senior-Expert-Service (SES), einer Stiftung, der über 8.000 Expert:innen angehören – „Leute am Ende ihres aktiven Berufslebens, die ihr Können und Wissen kostenlos weitergeben“ –, war er in Sachen Ökolandbau in vielen Teilen der Erde unterwegs. „Landwirt zu sein“, sagt er aus tiefster Überzeugung, „ist der schönste Beruf, den ich kenne.“
„Wir sind ein gutes Team, das viel erlebt und gemeistert hat“, sagt Gyso über seine Frau und sich – und spricht davon, als gäbe es da noch eine dritte Kraft, etwas, das mehr ist als die Summe der beiden Eheleute. „Wir kennen uns gut, mit Stärken und Schwächen – und wir arbeiten gern miteinander, entwickeln und verwirklichen gemeinsam Ideen. Darin liegt unsere Kraft.“ Streit gibt es nur selten – meist dann, wenn er sie zu sehr bremsen will, Elisabeth aber „bereits am Planen, wenn nicht schon am Machen ist“, so Gyso. „Elisabeth hat viel Vertrauen und Mut in sich: ‚Wir tun das jetzt einfach‘, sagt sie sich. Und wir wissen, dass wir die Kraft haben, gemeinsam Gutes wachsen zu lassen.“
Elisabeth sieht das ähnlich. „Auch das gibt uns Kraft: so zu leben, wie wir es wirklich tief in uns wollen: auf dem Land, als Team, mit einer gemeinsamen Aufgabe, die uns erfüllt. Wir können uns auch ohne Worte verstehen und uns aufeinander verlassen.“ Genau diese Energie ermöglichte den Neuanfang. „Dass ich in meinem Alter nochmals von vorn anfange, hat viele überrascht“, berichtet Gyso. „Doch wir sind nicht mit leeren Händen gestartet wie 1980 in Körtlinghausen. Neben unserem Startkapital haben wir auch viel Erfahrung mitgebracht – ein unglaublich wichtiger Faktor! Und besser als in das hier“ – er lässt seinen Blick durch den Hof an der Scheune vorbei über die Weide bis hin zu den Bienen und auf die Bank vor dem Küchenfenster schweifen – „kann man sein Geld nicht investieren. Unser Geld, das wir in 40 Jahren Arbeit verdient haben, wird hier wieder neu investiert. Das fühlt sich gut und richtig an.“
Geld verdienen ist dabei nicht das vorrangige Ziel. Geld soll in zukunftsfähige Projekte fließen, die ihn mit Freude erfüllen. Den Champagnerroggen zum Beispiel. Den vermehrt Gyso, eine alte Sorte aus Frankreich, die – einst auch hier beliebt – in Deutschland längst von ertragreicheren Hybridsorten vertrieben worden ist. Der Roggen wird in einer sechs Kilometer entfernten kleinen Bio-Müllerei gemahlen; ein Bäcker im Dorf backt daraus Brote – nur mit Sauerteig, Salz, Wasser und Mehl. Inzwischen hat sich das Champagnerroggenbrot wegen seines guten Geschmacks herumgesprochen und wird im Hofladen, beim Bäcker selbst oder auf dem Marktstand verkauft.
Oder seine Bienen: Sie summen vor den Fluglöchern seines Bienenhauses, seines liebsten Rückzugsorts. „Jeden Tag gibt uns die Arbeit einen Rhythmus vor“, umschreibt Elisabeth ihren Alltag. „Ein Leben in einem normalen Haus, einer Wohnung gar, ohne Aufgabe – das hätten wir uns nicht vorstellen können. Jeden Tag spüren wir die Jahreszeiten hautnah und kosten sie aus. Es ist ein großes Erlebnis, in die Natur einzutauchen und mit ihr zu sein. Zum Beispiel zu erleben, wie ein neues Bienenvolk entsteht: Da spürt man diese Energie, die in einem Bienenstock wirkt, und sie steigert sich von Tag zu Tag. Es ist ein kleines Wunder, das einen staunen lässt: Das Volk zieht sich eine neue Königin heran. Kurz bevor sie schlüpft, schwärmt die alte Königin mit einem Teil des Volkes aus.“
Um ein neues Zuhause zu finden – und eine neue Aufgabe, ganz wie Elisabeth und Gyso von Bonin auch.
Das Hofgut ist Teil des Schlosses Eggeringhausen, das der Familie von Fürstenberg gehört. Seit Sommer 2019 haben Elisabeth und Gyso von Bonin die Hofstelle mit Land gepachtet und sie auf Demeter-Landwirtschaft umgestellt. Insgesamt bewirtschaften sie mit Gärtnerin Ingeborg Levenig, dem Gesellen Conrad Gramm und weiteren Mitarbeiter:innen 42 Hektar. Wo sich früher Pferdeboxen befanden, ist heute neben dem Kühl- und Packraum auch der Hofladen untergebracht. Jeden Donnerstagnachmittag wird er von einer wachsenden Anzahl von Menschen aus der Umgebung besucht. Zudem werden Hofprodukte wie Gemüse, Getreide und Brot jeden Samstag auf dem Wochenmarkt im nahen Arnsberg verkauft.
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