„Our house is on fire“ – Greta Thunbergs berühmter Satz vom Davoser Weltwirtschaftsforum klingt uns noch in den Ohren. Dass unser „Haus Erde“ brennt, wissen wir längst – und kennen auch die Gründe dafür. Warum schaffen wir es dennoch nicht, konsequent nachhaltig und umweltbewusst zu leben? Das haben wir Prof. Dr. Gerhard Reese gefragt. Der Umweltpsychologe forscht, wie wir die Lücke zwischen Überzeugung und Verhalten verkleinern können.
Gerhard: In der Umweltpsychologie untersuchen wir, welchen Einfluss die Umwelt auf das Verhalten von uns Menschen hat – und welchen Einfluss wir wiederum mit unserem Verhalten auf die Umwelt nehmen. Wobei ich den Begriff „Umwelt“ nicht so glücklich finde, denn er suggeriert ja, dass es eine Welt gibt, die um uns herum existiert. Dabei sind wir auch ein Teil davon.
Gerhard: Die Natur ist in jedem Fall ein Teil dieser „Umwelt“, zu der wir in unserem Fachbereich forschen. Der Begriff „Umwelt“ ist allerdings breiter gefasst. In der Umweltpsychologie untersuchen wir unser Verhältnis zu jeglicher Form von Umwelt, auch der menschengemachten. Manche Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich zum Beispiel mit der Wirkung von Räumen auf unser Verhalten, etwa in der Architektur oder beim Städtebau. Ich selbst untersuche jedoch tatsächlich vor allem unser Erleben von Natur: Wie wirkt sich ein Waldspaziergang auf uns aus? Warum macht er uns ausgeglichener? Auch Fragen rund ums Klima sind hierbei relevant: Wie gehen die Menschen mit der drohenden Klimakatastrophe um? Wie verhalten sie sich? Ich forsche unter anderem auch zum Phänomen der „Klimaangst“ oder besser: der berechtigten „Klimasorge“, die bisher noch unzureichend untersucht ist.
Die obersten zehn Prozent der wohlhabendsten Milliarde der Menschen hat einen über alle Stränge schlagenden Lebensstil, den sich die Erde nicht mehr leisten kann.
Gerhard Reese, Umweltpsychologe
Gerhard: Das ist genau der springende Punkt: Die meisten Menschen wissen über den Klimawandel Bescheid – auch über die Faktoren, die ihn vorantreiben. Sie wissen auch um seine Auswirkungen – die bekommen wir bereits immer mehr zu spüren: Dürre, Flutkatastrophen wie im letzten Jahr an der Ahr, aber auch die diesjährige Hitzewelle und die zahlreichen Waldbrände. Auch wenn sich einzelne Ereignisse nur schwer dem Klimawandel zuordnen lassen, so steigt das Risiko für solche Ereignisse stetig. Und das macht vielen Angst – zu Recht. Und dennoch sind es vergleichsweise wenige Menschen, die es schaffen, sich ganz bewusst umweltfreundlicher und nachhaltiger zu verhalten. Mich beschäftigt genau diese Lücke zwischen der persönlichen Überzeugung und dem, wie wir uns tatsächlich verhalten.
Gerhard: Nicht gut, wenn man sich die letzten Berichte vom Weltklimarat anschaut. Deren Quintessenz: Wenn wir jetzt nicht sofort umsteuern, werden die Lebensumstände für viele Teile der Menschheit auf der Erde existenzbedrohend. Der Wandel hat ja bereits eingesetzt. Natürlich behaupten manche noch immer, Orkane, Überschwemmungen und Trockendürren habe es schon immer gegeben. Das stimmt ja so grundlegend, aber in dieser Häufigkeit gab es sie eben nicht schon immer. Und die Prognosen und Klimamodelle besagen, dass die Extreme noch weitaus stärker werden. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Gleichzeitig müssen wir endlich handeln, um diese Effekte nicht noch weiter anzuheizen. Es gibt neben der Klimakrise weitere sogenannte „planetare Grenzen“. Werden diese überschritten, gerät das Ökosystem aus der Balance, dann sind die Lebensgrundlagen für uns Menschen gefährdet. Wir nutzen unser Land zu exzessiv, roden zu viel, wir überfischen die Ozeane und gefährden die Biodiversität zu Wasser und auf dem Land, unser CO2-Ausstoß versauert die Meere, und wir haben einen viel zu hohen Süßwasserverbrauch.
Wir Menschen greifen so massiv in geophysikalische Prozesse ein, dass es zu kaskadenartigen Kipppunkten kommen kann – mit schlimmen Folgen für unsere Zukunft auf diesem Planeten. Um die planetaren Grenzen einzuhalten, bevor es zu solchen Kipppunkten kommt, müssen wir unser Verhalten radikal ändern. Vor allem das Konsumverhalten: Wie wir in westlichen beziehungsweise durchindustrialisierten Ländern leben, sprengt alle dieser planetaren Grenzen. Es ist hochproblematisch, weil unser gesamter Lebensstil auf einem viel zu hohen Verbrauch von endlichen Ressourcen basiert. Kurz gesagt: Die wohlhabendste obere Milliarde der Menschen – und von denen vor allem die obersten 10 Prozent – hat einen über alle Stränge schlagenden Lebensstil, den sich die Erde nicht mehr leisten kann.
Gerhard: Das hat mehrere Gründe. Zunächst gibt es die individuelle Ebene: Es ist schwierig, neue Verhaltensweisen anzunehmen, wenn wir von klein auf ein anderes Verhalten gewohnt sind. Besonders hinderlich: wenn sich die Menschen, mit denen wir uns umgeben – Familie, Freund:innen, Kolleg:innen – weiterhin so verhalten wie bisher. Zum Beispiel ist es für jemanden, der zu Hause als Kind täglich Fleisch gegessen hat, schwieriger, sich in seinem Fleischkonsum einzuschränken. Oder nehmen wir das Auto: Wenn man in einem Haushalt aufgewachsen ist, in dem es normal war, dass zwei bis drei Autos zur Verfügung standen, und dagegen völlig unüblich, das Fahrrad oder den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, dann ist eine Umstellung auf autofreie Mobilität viel schwieriger umzusetzen – und erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit den eigenen Gewohnheiten.
Gerhard: Genau, hier kommen wir zu einer anderen Ebene, die nicht individuell, sondern systemisch bedingt ist. Selbst wenn ich sehr klima- und umweltbewusst bin und eigentlich auf das Auto verzichten möchte, kann ich es nicht, wenn ich in einem Raum lebe oder auch arbeite, der auf individuelle Automobilität ausgerichtet ist. Dann ist ein Auto im Alltag nur unter großen Unannehmlichkeiten verzichtbar – oder eben tatsächlich unverzichtbar. Die wenigsten möchten viele Kilometer zum nächsten Bahnhof auf Bundesstraßen radeln müssen, um zu Arbeit, Einkauf, Schule oder Arzt zu gelangen. Und das ist auch niemandem zumutbar. An dieser Stelle ist die Politik gefragt, denn sie könnte hier effektive Lösungen schaffen, die ein System – etwa die Mobilitätsinfrastruktur – grundlegend ändern.
Die gute Nachricht ist, dass wir unser Verhalten auf individueller Ebene sehr wohl ändern können. In der Summe kann auch das große Auswirkungen haben, ohne dass wir auf politische oder systemische Verbesserungen warten müssen.
Gerhard Reese, Umweltpsychologe
Gerhard: Die Politik muss Leitplanken setzen, damit es für die Menschen leichter ist, im Alltag nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Um bei der Mobilität zu bleiben: Das 9-Euro-Ticket war ein wirklich gutes, richtiges Instrument. Durch den geringen Preis und die Einfachheit senkte es für viele die Hemmschwelle, Zug zu fahren und das Auto mal stehen zu lassen. Die Nachfrage war enorm. Auch wenn es in der Umsetzung noch etwas ruckelte und einige Züge überfüllt waren, leerten sich zum Teil die Straßen, eine Menge Autofahrer:innen stiegen zumindest während dieses Zeitraums um. Viele dieser versuchsweisen Neukund:innen haben offenbar gute Erfahrungen gemacht und könnten sich vorstellen, künftig mehr Zug statt Auto zu fahren. Es ist wichtig, dass wir einen günstigen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket anbieten und den ÖPNV ausbauen, um diesen Trend zu fördern. Beim Essen ist es genauso. Die nachhaltige Wahl sollte einfacher verfügbar und für alle bezahlbar sein, dazu gehört auch eine genussvolle, pflanzenbasierte und biologische Kost in Kantinen und Schulen. Dafür braucht es politischen Willen, der bewirkt, dass das, was die planetaren Grenzen sprengt, nicht bezahlbarer und einfacher verfügbar ist als die nachhaltige Alternative. Dass etwa der Zug bequemer und günstiger wird als die Autofahrt oder der Flug. Dass die Bio-Gurke günstiger ist als die mit Kunstdünger und Pestiziden angebaute. Oder auch Verbote, Lebensmittel in großem Stil zu verschwenden. Dass wir uns so selten nachhaltig verhalten, liegt also einerseits an uns als Individuen, aber andererseits und viel mehr noch am System. Dennoch: Jede und jeder kann zu einem insgesamt nachhaltigeren Lebensstil beitragen.
Gerhard: durchaus ein Motivator sein. Das sehen wir bei der Fridays-for-Future-Bewegung. Ich habe gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vor einem Jahr eine Studie durchgeführt, die zeigte: Diejenigen, die sich um das Klima sorgen, wollen sich auch in der Tat klimaschützender verhalten. Ich verstehe alle, die sagen: Ob ich jetzt den Flieger nehme oder nicht, das macht doch keinen Unterschied! Denn als Einzelner sehe ich in meiner nachhaltigen Entscheidung keine positive Veränderung des großen Ganzen, sondern fühle mich ohnmächtig. Aber hier hilft es, sich bewusst zu machen: Ich bin nicht allein, sondern viele Menschen handeln genauso. Als Teil einer Bewegung, die hoffentlich immer weiterwächst, können wir gemeinsam etwas zum Guten verändern. Was also für einen aktiven Wandel hilfreich ist: sich zusammenzuschließen mit Gleichgesinnten. Sich untereinander auszutauschen, sich gegenseitig zu bestärken und sich gemeinsam zu engagieren. Das kann in der Nachbarschaft sein oder in einer Umwelt-, Klima- oder Naturschutzgruppe. Oder in Initiativen, in denen sich Menschen zusammenschließen, die gemeinsam regenerative Energieversorgungslösungen suchen. Die gute Nachricht ist ja auch, dass wir unser Verhalten auf individueller Ebene sehr wohl ändern können. In der Summe kann auch das große Auswirkungen haben und zusammen mit politischen Weichenstellungen zu einer sozial-ökologischen Gesellschaft beitragen.
Gerhard: man: auf den Flug in den Urlaub verzichten, Ökostrom beziehen, keine Einweg-Produkte und keine Wegwerf-Mode konsumieren und das Konto bei einer nachhaltigen Bank einrichten. Wenn möglich, auf ein eigenes Auto verzichten, mit dem Rad oder den Öffentlichen fahren, Bio-Lebensmittel und am besten möglichst pflanzenbasiert essen. Das Schöne ist: Das alles bringt nicht weniger Genuss ins Leben, sondern macht auch Spaß und bringt – vor allem gemeinsam mit anderen und wenn man sich als Teil einer Bewegung versteht – ein positives Gefühl der Selbstwirksamkeit.
Gerhard Reese, geboren 1981, hat sich schon zu Jugendzeiten für Umwelt- und Naturschutz engagiert. Nach einem freiwilligen ökologischen Jahr beim Bundesamt für Naturschutz studierte er zuerst Geowissenschaften, dann wechselte er zum Studium der Psychologie. In den letzten zehn Jahren widmete er sich Fragen der Umwelt- und Naturschutzpsychologie. Seit 2016 ist er Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz/Landau. Dort leitet er den Studiengang „Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie“.
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