Die Fridays-for-Future-Bewegung hat allein in Deutschland Hunderttausende Schüler*innen und Jugendliche für eine Wende in der Klimapolitik auf die Straße gebracht. Ein Gespräch mit den Klimaschutzaktivistinnen Clara Mayer und Lilith Rein über ihr Vertrauen in die Politik, die Menschen und in die eigene Kraft.
Clara Mayer: Ich war schon immer politisch interessiert, dabei standen vor allem Feminismus und soziale Gerechtigkeit im Vordergrund. Von einer Klassenkameradin inspiriert, habe ich mehr schlecht als recht versucht, „zero waste“ zu leben, also möglichst ohne Verpackungen, allen voran aus Plastik, auszukommen. Mir wurde schnell klar: Ich bin bei meinem Versuch, die Welt zu retten, ganz auf mich allein gestellt – umgeben von einem System, das all meine Bemühungen konterkariert. Die Klimakrise erschien mir als zu allumfassend und groß, als dass ich als einzelner Mensch hier einen Unterschied machen könnte. Damals gab es Fridays for Future noch nicht. Es ist immer wieder unglaublich, wie viele einzelne Menschen sich zu einer starken Gruppe zusammengeschlossen haben, um ihre Zukunft in die Hände zu nehmen.
Lilith Rein: Ich habe mich durch ein Schulreferat mit dem Thema der Klimagerechtigkeit beschäftigt. Davor war mir nicht klar, vor welchem Abgrund wir stehen, wenn wir nicht entschieden handeln. Die Wissenschaft ist sich einig, dass wir nur mit schnellen und umfassenden Klimaschutz-Maßnahmen das im Weltklimaabkommen von 2015 beschlossene 1,5-Grad-Ziel der Vereinten Nationen noch einhalten können. Auch ich fand mich allein mit der Sorge um unsere Zukunft. Doch dann hörte ich von einem 14-jährigen Mädchen in Schweden, das begonnen hatte, jeden Freitag für das Klima zu streiken. Wie so viele junge Menschen hier in Deutschland und überall auf der Welt hat mich das dazu inspiriert, selbst aktiv mitzumachen und mich in meiner kompletten Freizeit für das Klima einzusetzen.
Lilith Rein, 16, koordiniert für die Berliner Ortsgruppe Social Media und leitet bundesweite Messeauftritte. Sie arbeitet außerdem im Orga- und Presse-Team mit.
Clara Mayer, 19, ist eine der Sprecher*innen der Fridays-for-Future-Bewegung und arbeitet an der Mobilisierung für Großstreiks mit. Bekannt wurde sie 2019 durch ihre Rede bei der VW-Aktionärshauptversammlung.
Die Klimabewegung Fridays for Future fordert, die auf dem Pariser Klimagipfel Ende 2015 gesetzten Ziele zur weltweiten Reduktion von CO2-Emissionen einzuhalten, um die Erderwärmung auf einen Anstieg von maximal 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu beschränken.
Die Forderungen von Fridays for Future sind ja recht klar: Sie fordern die Bundesregierung dazu auf, alles zu tun, damit Deutschland das Pariser Klimaziel erreicht.
Lilith: Doch das tun die Politiker*innen eben nicht! Dabei ist es so, dass die Anstrengungen, je später man sie startet, umso radikaler sein müssen und ungleich viel einschneidender und teurer werden. Wir verstehen nicht, dass die Politik nicht nach den wissenschaftlichen Fakten handelt, die längst vorliegen. Und zwar jetzt sofort!
Clara: Dabei haben wir bei den Europawahlen gezeigt: Wer sich nicht mit der Klimakrise beschäftigt, wird politisch darunter leiden. Wir haben auch gezeigt, dass das Klima ein Thema ist, das die Bevölkerung besorgt macht und bei dem ganz viele Menschen Potenzial sehen, jetzt die Zukunft positiv zu gestalten. Doch die Politik handelt nicht und verschließt die Augen.
Clara: Ich sage mal so: Die Regierungsverantwortlichen müssen sich das Vertrauen erst erarbeiten. Was bisher passiert, ist bei Weitem nicht genug. Wir schreiben die Gesetze nicht, sondern tragen Klimaschutz in den Mittelpunkt. Dass Politiker*innen nicht auf das hören, was die Massen sagen und was richtig wäre, lässt Vertrauen wanken. Doch Vertrauen in die Politik und Vertrauen in Politiker*innen sind zweierlei.
Lilith: Wenn eine Viertelmillion Schüler*innen, Eltern und Großeltern allein in Berlin für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen und wenn sich dann anschließend nichts tut und die Bundesregierung zu Jahresbeginn ein Klimapaket verabschiedet, das den Namen nicht verdient, dann sind sie und wir zu Recht enttäuscht. Natürlich haben wir kein Vertrauen in Politiker*innen, die um die Dringlichkeit wissen, aber keine unbequemen Entscheidungen treffen.
Clara: Ich vertraue vor allem den Menschen in Deutschland. Ich bin in den letzten Wochen viel mit dem Zug gereist und habe mich mit vielen Menschen auseinandergesetzt – aus verschiedensten sozialen Schichten und Hintergründen. Was alle gemein hatten, ist die Sorge vor Klimawandel-Folgen für sich und ihre Familien. Aber auch, dass sie gewillt sind, selbst etwas zu tun, um das Klima zu schützen. Ich sehe auch eine Aufgabe für uns als Bewegung, dass wir ihnen auf vielen Wegen – zum Beispiel über YouTube oder Social Media – zeigen können, was sie selbst für eine sozial gerechte, gute Zukunft tun und wie sie sich dafür engagieren können.
Lilith: Zu wissen, dass man selbst etwas bewegen kann, um mit anderen gemeinsam einen Wandel herbeizuführen, gibt angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel Sicherheit und Vertrauen. Es ist doch so: Keine von uns möchte auf das verzichten, was wir haben. Alle möchten weiter gut leben auf diesem grünen Planeten.
Lilith: Mir macht Mut, dass ein einzelner Mensch wirklich etwas ändern kann: Greta hat sich einfach auf die Straße gesetzt und demonstriert. Eine 14-Jährige hat damit eine Jugendbewegung ins Rollen gebracht, die es in dieser Größe noch nie vorher gegeben hat. Ich vertraue in die Zukunft, weil wir inzwischen so viele sind, die all unsere Willenskraft für das Klima einsetzen.
Clara: Es ist keine Frage, dass bestimmte Verhaltensweisen klimafreundlicher sind als andere. Ein geringerer Fleischkonsum etwa führt zu einem geringeren CO2-Ausstoß. Doch es ist problematisch, wenn wir beim Konsumverhalten bei dir und mir ansetzen. Die Klimakrise wird weltweit zu über 70 Prozent von etwa hundert Großkonzernen verursacht. Wenn wir dieses Problem auf einzelne Menschen herunterbrechen und einzelne Menschen damit belasten, kommen wir erstens nicht weit. Zweitens fallen wir dann genau den Kampagnen der Großkonzerne zum Opfer, die uns weismachen wollen, dass sie absolut nichts an ihrem Verhalten ändern müssen. Es gibt einen Grund, warum Shell auf seiner Website lange Zeit eine Liste hatte, wie man „zero waste“ lebt, inklusive Bambuszahnbürste und festem Shampoo! Weil es so wundervoll davon ablenkt, was Shell für klimatischen Murks macht! Es gibt im falschen System kein richtiges Verhalten. Es ist unmöglich, in einem System, wo alles in Plastik verpackt ist und die meisten Produkte durch Ausbeutung produziert wurden, komplett klimaneutral und fair zu leben. Es zu versuchen, ist ehrenwert, aber wir müssen am System selbst und bei den Konzernen ansetzen. Wenn die Badewanne überläuft, dann nimmt man nicht sofort den Wischmopp, man dreht erst mal den Hahn zu. Wir müssen an der Wurzel des Problems anfangen.
Lilith: Außerdem ist es auch eine soziale Frage: Nicht jeder kann es sich leisten, sich im Bioladen die ökologische, klimafreundliche, unverpackte Gurke zu kaufen. Es ist praktisch unmöglich, sich zu hundert Prozent klimafreundlich zu verhalten.
Clara: Um ethisch korrekt und nachhaltig konsumieren zu können, brauchst du neben dem nötigen Geld auch viel Zeit für stundenlanges Recherchieren. Das nächste Problem ist der Zugang zu den Geschäften, die solche Produkte überhaupt anbieten. Das Geld und die Zeit haben viele Menschen in ihrem Alltag nicht. Deswegen darf die große Last, die Welt retten zu müssen, nicht auf ihren Schultern abgeladen werden. Die Verantwortlichen für die Klimakrise sind die Großkonzerne und die Chefs der Großkonzerne. Um hier einen Wandel einzuleiten, brauchen wir Gesetze.
Clara: Natürlich. Sie wurden gewählt, unsere Interessen zu vertreten und dafür zu sorgen, dass die Menschen und die kommenden Generationen eine gute Zukunft in diesem Land haben. Dieser Verantwortung kommen sie grundlegend nicht nach, wenn sie jetzt nicht handeln. Sie riskieren das Wohlergehen der Menschen hier in Deutschland und global. Gerade hat uns Corona gezeigt, dass entschiedenes Handeln möglich ist. Warum also nicht auch beim Klima?
Clara: Und dennoch birgt sie eine Chance! Denn sie hat allen gezeigt, dass es möglich ist, angesichts einer Bedrohung entschieden und umfassend zu handeln. Dass finanzielle Mittel in ungekannter Größenordnung dafür bereitgestellt und schnell Gesetze und Verordnungen verabschiedet wurden, die alle möglichen Lebensbereiche betreffen. Durch Corona sitzen wir momentan direkt am Schalthebel für eine bessere, sozial gerechtere Zukunft.
Lilith: Die Politik muss die Klimakrise genauso ernst nehmen wie die Corona-Krise. Beide sind wissenschaftlich bewiesen – und bei der Reaktion auf die Letztere wurde auf die Wissenschaft gehört.
Clara: Wenn die Corona-Krise ein Sprint ist, ist die Klimakrise ein Marathon.
Clara: Wir lassen uns nicht kaufen! Wir sind in gewisser Weise aus der Gesellschaft heraus geboren. Wir sind nicht perfekt, doch wir wollen alle mitnehmen und begeistern. Wir sind authentisch und spiegeln einen Zeitgeist wider!
Lilith: Nur weil die Menschen uns vertrauen, tragen sie die Begeisterung für die Klimabewegung weiter und engagieren sich dafür in ihrem Job oder in Schulen. Es gibt so viele Möglichkeiten, aktiv zu werden – und dazu laden wir alle ein! Man kann auf die Straße gehen oder gleich in die Politik. Die Klimakrise ist vielschichtig, aber die Lösungsansätze sind es zum Glück auch.
Das „Handbuch Klimaschutz. Wie Deutschland das 1,5-Grad-Ziel einhalten kann: Basiswissen, Fakten, Maßnahmen“ präsentiert die Fakten aus über 300 aktuellen Studien: Ist das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens überhaupt noch erreichbar? Und welche Maßnahmen sind nötig, um es umzusetzen? Herausgegeben von Mehr Demokratie e. V. und BürgerBegehren Klimaschutz, Oekom Verlag.
Gemeinsam mit Demeter hat Demeter-Landwirt Jakob Schererz die Farmers for Future ins Leben gerufen. Sie fordern generell eine Besteuerung des CO2-Ausstoßes, haben aber auch ganz konkrete Forderungen für die Landwirtschaft: Neben der Förderung der CO2-Bindung durch Humusaufbau in landwirtschaftlichen Böden ist das vor allem eine gerechtere Verteilung der EU-Agrargelder, die auf eine klima- und umweltschonende sowie tiergerechte Landwirtschaft ausgerichtet sind, mehr Bio in der Gemeinschaftsverpflegung und eine Steigerung der bundesweiten Bio-Anbaufläche auf 20 Prozent. Zudem verlangen sie, dass die tierverursachten Emissionen reduziert werden: Es sollen nur noch so viele Tiere gehalten werden, wie der Hof ernähren kann.
„Wir müssen etwas tun, ein ,Weiter so‘ ist keine Option! Die Jugendlichen von Fridays for Future treten dafür ein, dass unsere Wirtschaftspolitik zu einer Klimapolitik wird. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen ihre Forderungen mit Fakten. Bereits heute setzen wir Bio-Bäuerinnen und -Bauern uns auf den Höfen fürs Klima ein – und wollen dabei noch besser werden. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns solidarisieren! Wir rufen alle Bio-Bäuerinnen und -Bauern dazu auf, ihr eigenes Arbeiten zu überdenken: Was können wir Winzer, Gärtner, Bauern und Imker ganz konkret tun, um etwa noch mehr Kohlenstoff in unseren Böden zu speichern? Wie können wir unsere Fruchtfolgen noch besser gestalten, zum Beispiel mit noch mehr Untersaaten und Zwischenfrüchten? Wie können wir Dauergrünland erhalten – oder Acker dahin gehend umwandeln? Wie können wir Tiere klimaschonender halten? Agroforstsysteme etablieren? Fossile Betriebsmittel reduzieren? Lasst uns unser Wissen teilen. Denn nur, wenn wir voneinander lernen und uns vernetzen, können wir große Schritte gehen. Und große Schritte sind jetzt absolut notwendig.“
Jakob Schererz,
Demeter-Landwirt, Geschäftsführer des Bauckhof Stütensen und Gründer der Farmers for Future
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