Gespräch auf Orange

Sei du selbst die Transformation

Was hat der innere Wandel unseres Bewusstseins mit der äußeren Transformation zu einem nachhaltigen Leben zu tun? Wie schaffen wir es, in unserer auf Konsum und Wachstum ausgerichteten Gesellschaft umzudenken? Dies und mehr wollen wir von Dr. Christoph Harrach wissen. Denn der Gründer von „KarmaKonsum“ beschäftigt sich mit beiden Bereichen: als Nachhaltigkeitsökonom und Yogalehrer.

Lieber Christoph, du praktizierst seit bald 30 Jahren Yoga und beschäftigst dich genauso lange mit Nachhaltigkeit. Wie hast du dazu gefunden?

Erst einmal war ich von beidem ganz weit weg, vom Yoga wie von einem nachhaltigen Leben. Ich bin gutbürgerlich aufgewachsen und war voll auf der Karrierespur: Einser-Kandidat in Schule und Studium, dann erfolgreich im Wirtschaftsleben. Ich ging auf Partys, konsumierte Markenprodukte. Heute würde ich sagen: Ich war das klassische Opfer unserer Leistungsgesellschaft mit ihrem Credo des „immer höher, schneller, weiter“. Dann erkrankte ich psychosomatisch. Erst dadurch fand ich zum Yoga. Und das half mir bei meiner Suche nach Sinn.

 

Dr. Christoph Harrach, geb. 1974, beschäftigt sich als Nachhaltigkeitsökonom und als Yogalehrer auf verschiedenen Ebenen mit der Frage, wie wir nachhaltig sowie in sozialer und innerer Verbundenheit gesund leben und arbeiten können.

Er initiierte den Blog „KarmaKonsum“, um den soziokulturellen und ökonomischen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen; dafür erhielt er 2010 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Mit der „KarmaKonsum-Konferenz“ brachte er jährlich bis 2014 über 1.000 Mitglieder der deutschen Nachhaltigkeitsbranche in Frankfurt zusammen. Heute berät Christoph Unternehmen, Kommunen und Initiativen zur Gemeinwohl-Ökonomie und ist Lehrbeauftragter an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Paderborn. 2021 promovierte er über „Psychologisches Nachhaltigkeitsmanagement von Mitarbeiter:innen am Arbeitsplatz“ an der Technischen Universität Berlin. Heute lebt er in der „Yoga-Stadt“ Bad Meinberg am Teutoburger Wald, wo jährlich mehr als 100.000 Übernachtungen in Europas größtem Yoga-Seminarhaus stattfinden. www.harrach.com

Für dich ein Wendepunkt?

Absolut. Yoga half mir, körperlich und geistig in Einklang mit mir selbst zu kommen. Und je mehr mir das gelang, umso mehr verspürte ich den Drang, mich auch in meinem Arbeitsleben für etwas einzusetzen, das zu meiner neuen inneren Einstellung passte. So gab ich am Ende meinen gut bezahlten Karrierejob als Online-Marketing-Manager auf, in dem ich dafür gesorgt hatte, dass möglichst billig produzierte Elektronik an möglichst viele Menschen verkauft wird. Stattdessen begann ich, in einem Pionier-Unternehmen der Biobranche zu arbeiten, später gründete ich den Nachhaltigkeits-Blog „KarmaKonsum“ und beriet Unternehmen dabei, sozial und ökologisch nachhaltiger zu werden. Die Yogapraxis vertiefte ich dabei weiter, ließ mich auch zum Yogalehrer ausbilden.

 

Für die nötige große Transformation brauchen wir ein neues Verständnis von Wohlstand und ein Bewusstsein dafür, dass alles mit allem verbunden ist.

 

Christoph Harrach, Nachhaltigkeitsökonom und Yogalehrer

Du bist heute immer noch unglaublich aktiv, berätst Kommunen und Unternehmen zur Gemeinwohl-Ökonomie, lehrst an der Universität Paderborn, unterrichtest Yoga und hast im letzten Jahr noch promoviert …

Ich habe eine gute Intuition dafür, was zu mir passt und welche Themen und Anliegen wirklich meine eigenen sind. Ich muss mich innerlich auch wahrhaftig mit ihnen verbunden fühlen. So erreiche ich meine Ziele mit wenig Aufwand und bin dabei sehr wirksam. Das ist für mich eindeutig ein Effekt meiner Yogapraxis: Ich tue heute das, was für mich „vorgesehen“ ist.

Im Moment widmest du dich einem ganz besonderen Projekt …

Ja, zurzeit beschäftige ich mich mit der Frage, inwiefern Philosophie und Praxis des Yoga einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten können. Da kommen also beide Bereiche zusammen: der des Ökonomen und der des Yogapraktizierenden. Ich frage mich, wie wir den „inneren“ Wandel mit der „äußeren“ Transformation zusammenbringen können. Dass wir Menschen die große Trans­formation bewältigen müssen, steht außer Frage, denn der Lebensstil unserer auf materiellen Konsum ausgerichteten Gesellschaft ist nicht zukunftsfähig. Es ist zugegeben eine riesige Herausforderung, diesen Lebensstil, den wir vor allem in den westlichen Industrienationen pflegen, zu ändern. Um die große Transformation zu einem nachhaltigen Lebensstil zu schaffen, setzen wir bislang vor allem auf technologische Erfindungen – statt auf soziale Praktiken.

Und als solche kann Yoga etwas verändern?

Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen („Agenda 2030“) und die Philosophie des Yoga teilen die Idee des Weltfriedens als Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung. Allerdings mit unterschiedlichem Fokus: Die Agenda 2030 sieht Frieden als Ergebnis von politischen Maßnahmen, etwa in der Wirtschaft, im Sozialen und in der Ökologie. Yoga hingegen setzt beim Menschen an – ganz in seinem Innern. Demnach kann Frieden im „Außen“ nur durch innere Friedensarbeit erreicht werden. Ich verstehe Yoga als spirituelle Übung, die den Blick von den äußeren Strukturen auf das Innere des Menschen lenkt.

17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung

Mit der „Agenda 2030“ und ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) hat sich die Weltgemeinschaft globale Nachhaltigkeitsziele gesetzt – auf sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Ebene. So soll nachhaltig Frieden und Wohlstand geschaffen und unser Planet geschützt werden. Dabei richten sich diese 17 Ziele der Agenda 2030 an alle: Staaten, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und jede und jeden Einzelnen. www.bmz.de/de/agenda-2030

Und wie genau kann diese innere Übung auf gesellschaftlicher Ebene zu mehr Nachhaltigkeit führen?

Im Yoga gibt es das gesellschaftliche Ideal vom einfachen Leben. Und genau das ist nicht nur ein erfülltes, sondern auch ein nachhaltiges, weil es weniger Ressourcen verbraucht.

So kann Yoga auf individueller Handlungsebene das ermöglichen, was wir auf dem Feld der Nachhaltigkeit als Suffizienz beschreiben: Weniger ist mehr. Es führt zu einem insgesamt nachhaltigeren Leben, wenn sich unsere Werte hin zu einem weniger materialistischen, weniger konsumbestimmten Leben verschieben. Dabei wird auch das eigene Wohlbefinden gestärkt. So kommen wir zu einer ganz neuen Definition von Wohlstand. Yoga kann uns dabei unterstützen, einen suffizienten, nachhaltigen Lebensstil zu pflegen, zu dem Achtsamkeit ebenso gehört wie Resonanzerfahrungen, bei denen wir in Beziehung treten zur Mitwelt und sie erleben.

Warum akzeptieren wir noch immer, dass moderne ‚Arbeitssklaven‘ in anderen Teilen der Welt für unsere Konsumgüter ausgebeutet werden?

 

 

Christoph Harrach, Nachhaltigkeitsökonom und Yogalehrer

Die findet man allerdings nicht nur im Yoga …

Nein, viele haben heute bereits einen Lebensstil gefunden, der auf dem Ideal des „Weniger ist mehr“ beruht, und sind davon erfüllt. Um zu dieser natürlicheren Lebens- und Arbeitsweise zu gelangen, braucht es in unserer westlichen Konsumgesellschaft jedoch immer einen Bewusstseinswandel im Innern. Wir leben nachhaltiger, weil wir es von innen heraus wirklich wollen und weil es uns als Menschen guttut. Diese veränderten Bedürfnisse entsprechen den Anforderungen der sogenannten Postwachstumsökonomie, einer Wirtschaft, die nicht auf Wachstum beruht. Das Leben in einer solchen ist viel reicher, als man zunächst vermuten mag. Verschiedenste Ansätze, vom Urban Gardening über Repair-Cafés bis zu Nachbarschaftsinitiativen und Konzepten wie der Solidarischen Landwirtschaft, stärken unsere Beziehungen: zu Menschen, zur Natur und – durch Praktiken der Achtsamkeit und der Resonanz – auch zu uns selbst. So erlangt „Wohlstand“ eine neue Stufe, die nicht durch Materielles definiert wird, sondern durch zwischenmenschliche, geistige, körperliche Erfahrungen.

Beeinflusst dieser Bewusstseinswandel am Ende auch unsere Sicht auf uns selbst?

Davon bin ich überzeugt. Im Moment versteht sich der Mensch noch als getrennt von der Natur, als ein Wesen, das der Natur und allem, was zu ihr gehört, übergeordnet ist: dem Kosmos, den Tieren und Pflanzen. Dieses egozentrische, kapitalistisch motivierte Selbstverständnis hat zu all den Problemen geführt, die heute unser Leben auf der Erde bedrohen – von der Vermüllung durch Plastik bis zum Artensterben und zum Klimawandel. Aber auch zu sozialen Missständen: Warum akzeptieren wir noch immer, dass moderne ‚Arbeitssklaven‘ in anderen Teilen der Welt für unsere Konsumgüter ausgebeutet werden? Warum halten wir unsere ‚Nutztiere‘ noch immer auf großteils so unethische Weise? Sobald wir die Trennung von Mensch und Natur überwinden – oder das ‚Trennende‘ überhaupt –, verstehen wir, dass alles mit allem verbunden ist, und begreifen uns selbst als Teil dieses Ganzen. Das ist auch der Ansatz von Yoga. Diese neue Perspektive einer universellen Verbundenheit, die eigentlich ja eine ganz alte ist, führt dazu, dass wir auch anders handeln. Nachhaltiger. Das passiert im großen Maßstab nicht von heute auf morgen, doch ich habe Hoffnung. Da zitiere ich gerne Gandhi, der immer betonte, dass es auf den Einzelnen ankommt, der immer etwas bewirken kann: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“

Dieser Artikel stammt aus der Frühjahrsausgabe 53 des Demeter Journals.