Wie lässt sich ein Familienbetrieb in die Zukunft führen, ohne die eigenen Ideale über Bord zu werfen? Henning Quast hat den Schritt gewagt und den elterlichen Obstbaubetrieb übernommen. Dazu gehört Idealismus ebenso wie wirtschaftliches Denken.
Das Alte Land vor den Toren Hamburgs bezaubert mit Deichen, Kanälen, malerischen Dörfern und alten Fachwerkhäusern. Mit kleinen Hofläden, Ausflugscafés und Restaurants. Mit endlosen Reihen an Obstbäumen, die im Frühjahr um die Wette blühen, erst die Kirschen, dann die Äpfel. Im Herbst biegen sich dann die Äste vom Gewicht der schweren, prallen Früchte. So zeigen die Postkarten diesen Sehnsuchtsort vieler Städter:innen, die hier am Wochenende in Scharen auf Fahrrädern und mit Rucksäcken Abenteuer und Erholung suchen. Was nicht ins idyllische Bild passt: der harte Arbeitsalltag derjenigen, die hier Obstbau betreiben und damit ihr Auskommen sichern. Sie müssen sich etwas einfallen lassen, um ihre Höfe zukunftsfähig zu machen.
So auch Obstbaumeister Henning Quast (31). Er ist auf dem elterlichen Hof in Neuenfelde aufgewachsen und bewirtschaftet ihn mit seiner Frau Sarah (30). Mit auf dem Hof: Vater Heinrich, Großvater Herbert – und seit etwas über einem Jahr der neue Mittelpunkt der ganzen Familie: Tochter Mathilda. Fünf festangestellte Mitarbeiter und ein Auszubildender wohnen und arbeiten hier, zur Erntezeit kommen Saisonkräfte hinzu.
Henning und Sarah Quast bewirtschaften ihren Demeter-Obstbaubetrieb im Hamburger Stadtteil Neuenfelde mit 45 Hektar in der siebten Generation und vermarkten ihre Äpfel über Bioobst Augustin.
Obsthof Henning Quast, Nincoper Str. 119, 21129 Hamburg
Berner Sennenhund Mo begrüßt alle Hofgäste freudig, während Kater Hecto-Pascal sich die meiste Zeit auf der gemütlichen Eckbank im historischen Wohnhaus zusammenrollt und kraulen lässt.
Hier, in der großen Familienküche, erzählt Henning bei einem Kaffee, dass er manchmal seine kleinen Träume auf Eis legen musste, damit der große Traum von einem zukunftsfähigen Hof gelingen konnte. Denn vor einem halben Jahr gackerten und pickten noch rund 350 Legehennen –
seine „Damen“, wie er sie noch immer nennt – und ein paar Hähne sowie Puten zwischen den Baumreihen. Insgesamt drei Jahre hielten die Quasts die Tiere in Mobilställen und vermarkteten die Demeter-Eier in einem kleinen Selbstbedienungs-Hofladen vor dem Haus. Zwischen den Obstbäumen beweideten und düngten „die Damen“ die Grünfläche und kümmerten sich gleichzeitig hungrig um die Schädlingsbekämpfung. Wenn er an die Zeit mit den Hühnern zurückdenkt, wird Henning wehmütig. Doch: „So traurig wir auch waren, die Hühner wegzugeben, so war uns gleichzeitig klar: Es ging nicht anders. Dass man ständig nach den Tieren schauen musste, war nicht das größte Problem – das waren die behördlichen Vorgaben und die zeitaufwendige Bürokratie.“ Zeit, die die junge Familie kaum abzwacken konnte. Neben der Arbeit am Obst planen die Quasts einen Umbau des Wohnhauses sowie einen Neubau der Lagerhalle, beides soll schon bald starten. Und nicht zuletzt war die kleine Mathilda in ihr Leben getreten! Zu viel Druck auf einmal, gesteht Henning: „Den Hof zukunftsfähig zu machen, das kann auch mal bedeuten, einen Schritt zurückgehen zu müssen. Es hilft ja nichts, wenn die Menschen, die das alles stemmen, sich übernehmen und sich selbst ausbeuten. Als die Entscheidung gefallen war, dass wir ohne die Hühner weitermachen, ist uns eine schwere Last von den Schultern gefallen.“ Dennoch: Der Wunsch, irgendwann wieder Hühner oder andere Tiere zu halten, bleibt – „wenn sich die Zeiten geändert haben, geben wir dem noch mal eine Chance!“
Unsere Grundlage ist ein gesunder und fruchtbarer Boden. Der kommt den Äpfeln zugute, aber auch der Artenvielfalt.
Henning Quast, Demeter-Obstbauer
Sarah, die seit zwei Jahren Vollzeit auf dem Hof mitarbeitet und als gelernte Bankkauffrau „für alles, was Finanzen angeht“, zuständig ist, wünscht sich nicht nur Hühner und einen eigenen Hofladen, sie hätte auch große Freude an Ziegen. „Aber alles zu seiner Zeit“, sagt auch sie. Kein Feierabend, kaum Urlaubstage, dafür eine sinnvolle, selbstbestimmte Lebensweise: Sarah hat das Leben als Obstbäuerin und Selbstständige erst durch Henning kennengelernt, mit dem sie bereits seit Jugendtagen zusammen ist. „Einerseits hat man eine unglaubliche Freiheit, andererseits natürlich auch unglaublich viel Verantwortung!“, sagt Sarah. Sie berichtet von schlaflosen Nächten, meistens wetterbedingt: Sind die Nächte zu kalt und droht nach der Apfelblüte noch einmal Frost, steht Henning mitten in der Nacht auf, um die Plantage mit Wasser zu beregnen. Das gefriert rund um die Blüten und Fruchtknoten und schützt sie so vor dem Erfrieren. Solche Nächte gab es in den letzten Jahren immer öfter, da die Obstblüte durch die Klimaveränderungen immer früher beginnt. „Diese Nächte sind für uns sehr zehrend, da die Arbeit am Tag ja auch erledigt werden muss und Henning in zwei Stunden Mittagsschlaf den Schlafmangel nicht ausgleichen kann“, erzählt Sarah. Auch Hagelwarnungen gibt es immer öfter, und so schauen Henning und Sarah nicht nur regelmäßig auf ihre Wetter-App, sondern bei Gewitterlagen ständig in den Himmel und hoffen, dass kein Hagelschauer das empfindliche Obst verletzt. Schweren Herzens hat sich Henning deswegen dazu entschlossen, nach und nach Hagelnetze aufzuspannen, um dieses Risiko zu senken – und ruhiger zu schlafen. „Nachhaltig zu denken, heißt auch, zu einem gewissen Maße wirtschaftlich zu denken: Wir müssen in der Lage sein, Obstbau so zu betreiben, dass vier Generationen und alle, die hier arbeiten, ein Auskommen davon haben.“
Die Erntezeit ist anstrengend, aber schön. „Wir starten Mitte August mit der Sorte Delbar, gefolgt von Holsteiner Cox und Elstar Anfang September, dem Topaz Anfang Oktober und dann Natyra“, erklärt Henning. Dabei wird jeder Apfel von Hand gepflückt. Ist er perfekt, eignet er sich als Tafelobst und wird vorsichtig in eine Kiste gelegt. Diese wird dann entweder in die Kältekammer transportiert, in der Sauerstoff entzogen wird, damit die Äpfel länger frisch bleiben. Oder aber es geht direkt zur Vermarktungsgesellschaft Augustin, in der sein zwei Jahre älterer Bruder Hinrich im Vertrieb und in der Geschäftsführung arbeitet. Trägt der Apfel etwas Schorf oder ist er optisch nicht schön genug für den Verkauf, wird er, ebenfalls über Bioobst Augustin, an die Natursaftkelterei Voelkel im Wendland geliefert, die daraus köstliche Apfelsäfte keltert.
„Doch was ist ein guter Apfel?“, fragt Henning. Er findet es schade, dass heute nur rundum perfekte, makellose Äpfel in den Verkauf kommen. „Ich habe den Eindruck – und das bestätigen auch die Händler –, dass Verbraucher auch von Bio- und Demeter-Äpfeln erwarten, dass sie so perfekt aussehen, wie sie es von den konventionell angebauten Äpfeln gewohnt sind. In den 90er-Jahren, als mein Vater den Hof führte und auf Bio umstellte, wurde fast jeder Apfel gegessen, wie er war. Auch wenn ein Apfel etwas Schorf oder eine Hagelstelle trägt – er schmeckt genauso gut!“
Wie sein Vater, der 1993 mit zwei Windrädern den ersten Windpark Hamburgs auf seinem Land errichtete und den Betrieb 1995 auf Bio- und 2002 dann auf Demeter-Landwirtschaft umstellte, ist auch Henning ein Pionier. Sein Anliegen: die Artenvielfalt zu steigern, auch im Boden selbst. Über der Erde hat er inzwischen mehr als 600 Heckenpflanzen eingesetzt, betreibt Mäusebekämpfung mit der Ansiedlung von Greifvögeln (durch Sitzstangen) oder von Wieseln und Mardern (durch Steinmauern). Zudem hat er Nistkästen für Singvögel, Eulen, Falken und Fledermäuse zwischen den Schwarzerlen aufgehängt.
Seine größte Leidenschaft gilt jedoch dem Boden – „der Grundlage von allem“, wie er sagt. Neben dem Einsatz von biodynamischen Präparaten setzt er auf regenerative Landwirtschaft, bei der regenerative Mikroorganismen genutzt werden. Das sind hilfreiche Bakterien, die das Bodenleben anregen. Außerdem reichert Henning die hofeigene Kompostierung mit mikrobiellen Kohlenstoffen an, um diesen Prozess weiter zu unterstützen. Er freut sich bereits über Erfolge bei der Humusanreicherung. Letztere sorgt dafür, dass noch mehr Leben in den Boden kommt. Diverse Blühmischungen bereichern über wie unter der Erde das Leben. „Die Pflanzen produzieren mit der Photosynthese Zucker, dieser wird teilweise über die Wurzeln an den Boden abgegeben und dient als Nahrung für die Mikrobiologie. Diese ganzen Mikroben bilden selbst innerhalb dieser kurzen Zeit eine wunderbare Bodenstruktur. Das kommt nicht nur dem Humusaufbau, sondern auch unseren Äpfeln zugute!“
Um als Obstbauer bestehen zu können, muss ich mich auch fragen, wie viel Idealismus möglich ist – und Nachhaltigkeit gemeinsam mit Wirtschaftlichkeit denken.
Henning Quast, Demeter-Obstbauer
Demeter-Anbau bedeutet für Henning also vor allem eine gute Bodenarbeit – und damit wesentlich mehr Aufwand. „Wir mähen und hacken in unseren Junganlagen unter den Bäumen per Hand, das ist anstrengend und zeitaufwendig. Ich denke sogar, die Bodenbearbeitung ohne den Einsatz von Glyphosat und Herbiziden ist das größte Hindernis für Obstbauern, um auf Bio oder gar Demeter umzustellen. Für mich kommt aber nichts anderes infrage. Ich bin ‚öko‘ aufgewachsen; mein Vater hat mir den Ökolandbau idealistisch vorgelebt. Konventionellen Obstbau zu betreiben, könnte ich mir nicht vorstellen. Ich arbeite ohne Pestizide und Mineraldünger, dafür mit Präparaten, natürlichen Mikroorganismen und viel Muskelkraft. Und auch wenn ich darüber nachdenken muss, wie ich einige der anfallenden Arbeiten in Zukunft durch Maschinen ersetzen kann, bleibt klar: Wir wollen unsere Anbaumethoden im Einklang mit der Natur halten!“
Die Voelkel GmbH, Demeter-Pionier der ersten Stunde, ist zwei Fahrstunden vom Obstanbaugebiet „Altes Land“ entfernt. Seit Einkaufsleiter Boris Voelkel zurückdenken kann, bezieht die Naturkostsafterei Demeter-Äpfel vom Obsthof Augustin, der auch die Ware der Familie Quast vermarktet. Durch die Bündelung der Demeter-Anbaubetriebe wird eine Lkw-Ladung schnell voll, und die Ware kann besonders frisch angeliefert werden. Seit einigen Jahren verarbeitet Voelkel einen Teil dieser Äpfel auch zu sortenreinen Säften aus den beliebten Sorten Topaz, Elstar und Jonagold.
„Wir bei Voelkel finden, dass die klassischen Marktmechanismen wenig geeignet sind und den Ökolandbau in eine Sackgasse führen. Ist die Ernte gut, gehen die Preise in den Keller. Das ist zynisch, da es dann für die Erzeuger keine gute Ernte mehr ist – zumal bei einer geringeren Ernte die Preise stark in die Höhe schießen“, erklärt Boris. Nur langfristige, vertrauensvolle Beziehungen erlaubten es, sich ohne Verträge auf einen stabilen Preis zu einigen, der mal für den einen, mal für den anderen etwas besser, aber der stets für beide Seiten realisierbar sei. „Solche Strukturen und Beziehungen zahlen sich besonders in Krisenzeiten und angesichts zunehmender Wetterextreme für alle an der ‚Wertschätzungskette‘ Beteiligten aus. In Zukunft möchten wir mehr Runde Tische etablieren, die auch Rudolf Steiner schon angeregt hat, um ein stärkeres Bewusstsein füreinander zu entwickeln, wie es sich beim Etablieren samenfester Gemüsesorten bereits bewährt hat“, so der 37-Jährige. „Wir müssen neben der öko-sozialen Verantwortung eine komplett neue Haltung im Miteinander-Wirtschaften finden. Dazu gehören neue Marktmechanismen, die auf Wärme, Vertrauen und Augenhöhe basieren. Danach sehnen sich die Menschen – Landwirte wie Kunden.“
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Liane Maxion, Vorständin der Naturata AG, und Demeter-Vorstand Alexander Gerber diskutieren über Authentizität.
Paradiesfeigen – so wurden früher Bananen genannt, als sie in unseren Breitengraden noch eine ganz besonders knappe Köstlichkeit waren. Und in der Tat stecken die gelben, duftenden Früchte nicht nur voller Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe, sondern auch voller Aromen, die geschmacklich geradewegs aus dem Paradies stammen könnten. Doch gerade weil die Banane heute weltweit so beliebt ist, sind die Bedingungen ihrer Erzeugung meist alles andere als paradiesisch: Wegen der starken Nachfrage wird die Banane in gigantischen Monokultur-Plantagen angebaut, die auf Masse optimiert sind. Dadurch werden ganze Ökosysteme zerstört. Der massive Einsatz von Chemiedüngern und Pestiziden hat schlimme Folgen. Nicht nur für die Böden, das Grundwasser, die Artenvielfalt, sondern auch für die Gesundheit der Arbeiter:innen auf den Plantagen.